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Seit Ende 2002 wurde in Deutschland bei Mastküken aus verschiedenen Herden ab dem sechsten Lebenstag ein Krankheitsgeschehen beobachtet, das durch Durchfall und anschließende Wachstumsdepression gekennzeichnet ist. Der Krankheitskomplex wird in der Literatur als Malabsorptionssyndrom (MAS) bezeichnet. Da eine antimikrobielle Therapie keinen Erfolg brachte, wurde eine virale Ätiologie vermutet.
Aus 17 Broiler-Beständen mit aktueller MAS-Problematik wurden aus 56 von 68 Organproben Reoviren isoliert und mittels Indirektem Immunfluoreszenztest sowie elektronenmikroskopisch identifiziert. In neun ausgewählten Proben, aus denen später ausschließlich Reoviren isoliert werden konnten, wurden in der elektronenmikroskopischen Untersuchung 4x Rotaviren, 1x Reoviren, 1x Rota- und Reoviren, 1x Calici- sowie einzelne Rota- und Reoviren und 1x Paramyxovirus-ähnliche Partikel nachgewiesen. In einer untersuchten Probe konnte kein Virus gefunden werden. 24 Reovirus-Isolate wurden mit monoklonalen Antikörpern (mAk) untersucht, die eine Einteilung der Isolate in enteric reovirus strains (ERS) und Reoviren („nicht-ERS“) erlauben. 16 Isolate erwiesen sich als ERS.
Eine weitere Differenzierung ausgewählter Isolate wurde mittels der vergleichenden Morphologie der cpE sowie der Plaquegrößen, mit Plaquereduktions-Testen und mit der RNA-Polyacrylamid-Gelelektrophorese (PAGE) durchgeführt. Die Ergebnisse, die mit diesen morphologischen, serologischen und molekularbiologischen Methoden erzielt wurden, haben keine einheitliche Einteilung der MAS Isolate in pathogen bzw. nicht pathogen zugelassen.
Zur Bestimmung der Pathogenität ausgewählter Isolate in vivo wurden einen Tag alte SPF-Broiler oral infiziert. Alle Küken der Gruppe, die mit dem ERS-Vergleichsstamm aus Polen 238/98 infiziert worden waren, verstarben innerhalb von sechs Tagen p.i. Das beschriebene Krankheitsbild konnte vollständig reproduziert werden, während dies mit dem ERS-Feldisolat 120/03-1 aus Deutschland und dem Reovirus-Prototyp-Stamm S1133 nicht möglich war. Das „nicht-ERS“-Feldisolat 259/03 aus Deutschland führte zu einer signifikanten Reduktion des Körpergewichts der Tiere und zu klinischen Erscheinungen, die jedoch nicht mit denen der ursprünglichen Herdenproblematik übereinstimmten. Der Rückgang der Virusausscheidung anhand der Ergebnisse der Virusreisolierung aus Kloakentupfern korrelierte innerhalb der Gruppen entsprechend mit dem Einsetzen bzw. dem Anstieg der AK-Bildung. Bei den histopathologischen Untersuchungen wurden in der Gruppe 238/98 v.a. Nekrosen in Leber, Milz und Bursa gefunden, während in den Gruppen S1133, 120/03-1, 120/03-1 (AM) und 259/03 primär Myo- und Epikarditiden konstatiert wurden. Bei der Gruppe 259/03 wurden zusätzlich Gastritiden beobachtet. Mittels Immunhistochemie konnten vor allem in Milz, Bursa Fabricii sowie Blinddarm und Blinddarmtonsillen Virus Antigen nachgewiesen werden. Aus am Ende des Versuchs entnommenen Organprobenpools der mit dem deutschen ERS-Feldisolat 120/03-1, dessen Ausgangsmaterial 120/03-1 (AM) sowie dem Reovirus-Prototyp-Stamm S1133 infizierten Tiere wurde sporadisch Virus aus Blinddarm und Blinddarmtonsillen sowie der Milz reisoliert. Bei den mit dem „nicht-ERS“-Feldisolat 259/03 infizierten Tieren wurde aus den untersuchten Organen weder Virus reisoliert noch Antigen nachgewiesen. Aus jedem Organpool der Tiere, die mit dem ERS-Vergleichsstamm aus Polen 238/98 infiziert worden waren und bis zum sechsten Tag p.i. starben, konnte Virus reisoliert und in den Organen exklusive des Gehirns Reovirus Antigen detektiert werden.
Die erzielten Ergebnisse zeigen, dass es mit den verwendeten labordiagnostischen Methoden nicht möglich war, die Pathogenität von Reoviren ohne Tierversuche eindeutig zu bestimmen. Es konnte in diesen Untersuchungen kein Zusammenhang zwischen Sero- Elektrophero- und Pathotyp ermittelt werden. Die Heterogenität der untersuchten Isolate spricht gegen ein monokausales, durch bestimmte Reoviren verursachtes MAS-Geschehen, darüber hinaus sind nicht alle ERS-Isolate als pathogen zu betrachten. Aus den Untersuchungen wird deutlich, dass mit keiner der angewandten Untersuchungsmethoden ein gemeinsames Merkmal aller MAS verursachenden Isolate gefunden werden kann.
Der verfügbaren Literatur zufolge ist dies die erste Arbeit, in der eine experimentelle Infektion mit SPF-Broilern durchgeführt wurde.