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Im Rahmen einer Feldstudie während des Jahres 2002 wurden 185 Kühe der Rassen Fleckvieh und Holstein untersucht, die peripartal zum Festliegen kamen und bei denen als Ursache eine Hypokalzämie im Sinne der klassischen Gebärparese vermutet wurde. Neben dem klinischen Bild sollte zusätzlich die klinisch-chemische Blutuntersuchung zur ätiologischen Diagnosestellung herangezogen werden, um neben der vermuteten Elektrolytverschiebung auch mögliche Störungen anderer Organsysteme zu erfassen. Im Serum wurden dazu die nachfolgende Parameter bestimmt und ausgewertet: Kalzium, Phosphor, Magnesium, AST, CK, GLDH und Bilirubin. Anschließend wurde überprüft, ob die aus der Praxis berichtete Verschlechterung des Behandlungserfolges bestätigt werden konnte. Dazu wurden alternierend zwei Infusionslösungen zur Behandlung eingesetzt, die sich hinsichtlich ihres Kalzium-, Phosphor- und Magnesiumgehaltes unterschieden. Die Tiere der Gruppe A erhielten bei der Erstbehandlung 500 ml Caloriphos® und die Tiere der Gruppe B 500 ml Calci Tad® N 25. In beiden Gruppen wurden jeweils zusätzlich 500 ml einer 40 %igen Glukoselösung infundiert. Vergleicht man die beiden Behandlungsgruppen hinsichtlich Anamnese, klinischer Befunde und Ergebnissen der Blutuntersuchung, so zeigten die Kühe in Gruppe A lediglich einen signifikant niedrigeren BCS und hatten seltener ein gestörtes Allgemeinbefinden. Seitens der beiden zur Therapie eingesetzten Infusionslösungen ergab sich weder ein Einfluss auf die Behandlungsfrequenz noch auf den Behandlungserfolg, so dass sie als gleichwertig erachtet werden können. In der Anamnese konnte ein höherer Anteil junger Tiere beobachtet werden, die bereits in der ersten und zweiten Laktation peripartal zum Festliegen kamen. Allerdings spielten bei den erstlaktierenden Kühen, insbesondere beim Fleckvieh, die Myopathien eine übergeordnete Rolle, während isolierte Mineralstoffstörungen bei diesen Tieren nicht auftraten. Bei der Erhebung der klinischen Befunde fiel dagegen auf, dass das Krankheitsbild eher unspezifisch ist. Vor allem die bei der hypokalzämischen Gebärparese als typisch beschriebenen Befunde, wie eine Störung des Sensoriums und das Auftreten einer Hypothermie sowohl der Hautoberfläche als auch der Körperinnentemperatur, zeigten sich eher selten. Sie waren aber bei den Holsteinkühen noch ausgeprägter vorhanden als bei den Fleckviehkühen. Erstere zeigten auch den stärkeren Abfall sowohl der Kalzium- als auch der Phosphorkonzentration im Serum, wobei diese beiden Elektrolyte einen deutlichen Einfluss auf die Ausprägung der Symptome hatten. Die Verschiebungen der einzelnen Elektrolyte im Serum zeigten kaum Veränderungen gegenüber früheren Untersuchungen. Die Ausgangskonzentrationen der Elektrolyte, vor allem des Kalziums und des Phosphors, waren dabei nach wie vor für die Anzahl der notwendigen Behandlungen bis zur Heilung ausschlaggebend. Je geringer ihre Konzentration vor der ersten Behandlung war, desto mehr Behandlungen waren notwendig, bevor die betroffenen Kühe ihr Stehvermögen wiedererlangten. Mit einem Erstbehandlungserfolg von 66,5 % und einer Gesamtheilungsrate von 88,6 % konnte auch keine Verschlechterung bei der Behandlung peripartal festliegender Kühe festgestellt werden. Vielmehr hatten die Enzyme AST und CK den deutlichsten Einfluss auf den Behandlungserfolg. Die Kühe, die nicht geheilt werden konnten, zeigten bereits vor der ersten Behandlung die signifikant höheren Aktivitäten dieser Enzyme im Serum. Zusätzlich zeigten diese Tiere auch kaum oder keine Abweichungen im Elektrolythaushalt. Bei den Tieren, die nach der ersten Behandlung euthanasiert wurden, fand sich aber auch eine deutlich höhere Konzentration des Gesamtbilirubins im Serum. Da vor allem die Enzyme AST und CK den deutlichsten Einfluss auf den Behandlungserfolg hatten, kommt somit der Vermeidung von Muskelschäden bereits vor und während der Geburt, aber auch im Verlauf des peripartalen Festliegens, eine besondere Rolle zu. Da sich anhand des klinischen Bildes heutzutage nicht mehr eindeutig auf die zu Grunde liegende Mineralstoffstörung oder auch begleitende Erkrankungen schließen lässt, es unter Praxisbedingungen jedoch meistens nicht möglich ist, vor der Behandlung eine Blutuntersuchung durchzuführen, sollte bei einer hypokalzämischen Gebärparese nach wie vor zunächst auf Grund dieser Verdachtsdiagnose eine Behandlung eingeleitet werden. Dabei ist die Wahl der zur Behandlung eingesetzten kalzium- und phosphorhaltigen Infusionslösung eher zweitrangig. Die weiterhin guten Behandlungserfolge sprechen deutlich für dieses Vorgehen. Nichtsdestoweniger: Für eine gesicherte Diagnose, eine zielgerichtete Therapie (vor allem bei einem ausbleibenden Behandlungserfolg) und eine aussagekräftige Prognose ist es unerlässlich, nachfolgend eine klinisch-chemische Blutuntersuchung einzuleiten, besonders im Hinblick auf Muskel- und Leberschäden.