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Die Kolibazillose, verursacht durch aviäre pathogene E. coli (APEC), ist eine akute
Erkrankung des Geflügels, die mit einer hohen Morbidität und Mortalität einhergeht und
weltweit erhebliche wirtschaftliche Verluste in der Geflügelindustrie verursacht. Ein großes
Problem stellt die eindeutige Identifizierung und damit verbunden die Differenzierung der
APEC-Wildtypstämme von den apathogenen E. coli dar, die als Kommensale im Darmtrakt
der Tiere leben. Dies ist einer der Gründe dafür, dass nur wenige epidemiologische Daten
über APEC-Infektionen vorliegen. Weiterhin ist trotz zahlreicher in vitro- und in vivo-Unter-suchungen
die Rolle einzelner Virulenzfaktoren aviärer pathogener E. coli im Krankheitsbild
der Kolibazillose unzureichend geklärt. Aus diesen Gründen wurden 150 E. coli-Wildtypstämme,
die während eines Zeitraums von 11 Jahren im gesamten Bundesgebiet aus
den inneren Organen von an Kolibazillose verendeten Geflügel isoliert wurden, sero- und
genotypisiert sowie mittels Makrorestriktionsanalyse auf klonale Verwandtschaften
untersucht.
Lediglich die Hälfte der untersuchten Isolate ließen sich den in enger Assoziation mit
der Erkrankung beschriebenen O-Gruppen O1 (6,0 %) und O2 (28,7 %) sowie dem Serovar
O78:K80 (14,7 %) zuordnen. Um nähere Aufschlüsse über die Verteilung und das Vorkom-men
virulenzassoziierter Gene zu erhalten, wurden die 150 E. coli-Isolate weiterhin mittels
DNS-DNS-Hybridisierung und Polymerase-Kettenreaktion (PCR) auf das Vorkommen der
folgenden Gene untersucht: fimC, papC, fyuA, irp2, iucD, iss, tsh, astA, hlyE und stx2f. Die
für Typ1- und P-Fimbrien kodierenden Gene fimC und papC waren zu 92,7 % bzw. 23,3 %
vorhanden, die Gene, deren Genprodukte zur Eisenaquirierung essentiell sind (fyuA und irp2)
konnten zu jeweils 71,3 %, das iucD zu 77,3 % nachgewiesen werden. Insgesamt wiesen
71,3 % der Isolate eine Kombination von fyuA und irp2 auf, während 66,0 % über alle drei
Gene zur Eisenaquirierung verfügten. Neben dieser für die Vermehrung der APEC im Wirts-organismus
essentiellen Aufnahme von Spurenelementen deutet auch die hohe Prävalenz des
Anti-Wirtsabwehrsystems Iss (increased serum survival; iss: 80,7 %) bei den untersuchten
APEC auf eine wichtige Rolle in der Pathogenese der Kolibazillose hin. Weiterhin besaßen
72,0 % der Stämme das für ein Temperatur-sensitives Hämagglutinin kodierende tsh, welches
wie das Iss als spezifischer APEC-Marker angesehen werden kann. Von geringerer bzw. ohne
Bedeutung scheinen die Toxine EAST-1 (astA: 20,7 %), Hämolysin E (hlyE: 2,7 %) sowie
das für E. coli-Stämme von Tauben spezifische Shiga-toxin (stx2f: 0 %) zu sein.
Auf der Basis dieser Untersuchungsergebnisse konnte eine Multiplex-PCR etabliert
werden, die als diagnostisches Werkzeug eine sichere, schnelle und kostengünstige
Identifizierung und Charakterisierung von E. coli-Wildtypstämmen erlaubt. Weiterhin belegte
die Makrorestriktionsanalyse der APEC-Stämme eine enge Verwandtschaft und das
Vorliegen nur weniger Klone.
Die Untersuchungsergebnisse geben Einblicke bzgl. des Vorkommens und der
Verteilung virulenzassoziierter Gene in aviären pathogenen E. coli. Aufgrund dieses Wissens
konnte mit der Multiplex-PCR erstmals ein spezifisches Diagnostikum etabliert werden, das
zudem gleichzeitig Aussagen bzgl. der Virulenz eines APEC-Stammes erlaubt. Insbesondere
wurde die äußerst geringe Sensitivität der Serotypisierung als APEC-Diagnostikum
eindrücklich belegt. Durch die etablierte Multiplex-PCR können weiterhin pathogene E. coli-Isolate
in einem Bestand identifiziert werden, welche z. B. als Grundlage für einen Impfstoff
dienen können. Außerdem ist es möglich, nähere Aufschlüsse über evtl. Zooanthroponose-Erreger
zu erhalten, denn humane und aviäre pathogene E. coli-Isolate können mittels der hier
etablierten Makrorestriktionsanalyse miteinander verglichen werden. Auch ist nun durch
Anwendung der etablierten Werkzeuge eine Infektkettenforschung möglich, die zur Auf-klärung
von Infektionswegen innerhalb und zwischen Geflügelbeständen beiträgt. So können
z. B. entsprechende vorbeugende Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der APEC-Isolate
frühzeitig eingeleitet werden. Die in dieser Arbeit ermittelten Ergebnisse bilden schließlich
die Grundlage für weitergehende epidemiologische Untersuchungen und nun anstehende in
vivo- (Huhn) und in vitro- (Zellkultur) Infektionsversuche, mit deren Hilfe neue und
entscheidende Einblicke in die Pathogenese der Kolibazillose des Geflügels gewonnen
werden können.