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Fachbereich Veterinärmedizin


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    Publikationsdatenbank

    Auch Kühe brauchen Komfort - Ursachen und Bekämpfung von Klauenkrankheiten (2007)

    Art
    Vortrag
    Autoren
    Müller, K. E.
    Eilers, T.
    Weber, C. N.
    Kongress
    Hendrix Illesch - Studientage 2007
    Frankfurt an der Oder, 09. – 10.10.2007
    Quelle
    Kontakt
    Nutztierklinik

    Königsweg 65
    14163 Berlin
    +49 30 838 62261
    klauentierklinik@vetmed.fu-berlin.de

    Abstract / Zusammenfassung

    ?Wenn man ganz allgemein die Rinder in Bezug auf die Stellung und Form ihrer Füße beobachtet, die vielen vernachlässigten Klauen sieht, ? Horngebilde von verschiedensten Formen? wundert man sich ?, dass diese Tiere noch laufen und transportiert werden können, andererseits staunt man über die große Vernachlässigung, welche die Tierhalter diesen so überaus nützlichen Haustieren in Bezug auf die Pflege ihrer Füße zukommen lassen.? (Gröndahl, 1911).

    Obwohl sich die Milchwirtschaft seit Anfang des letzten Jahrhunderts völlig verändert hat, trifft diese Feststellung aus einer Dissertation, welche zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts verfasst wurde, auch heute für so manchen Betrieb zu. Man schätzt, dass in dem Gebiet der EU mehr als 20 % der Milchkühe lahm gehen. Bei dieser Zahl sind die Kühe, deren Lahmheit noch nicht auffällig ist, das sind die Tiere mit den so genannten subklinischen Lahmheiten, nicht berücksichtigt. Bei einer gründlichen Untersuchung weisen laut Distl (1999) tatsächlich mehr als 50 % der Kühe krankhafte Veränderungen an den Klauen auf. Hinter den Fertilitätsstörungen und den Eutererkrankungen stehen Erkrankungen der Klauen an dritter Stelle auf der Liste erkrankungsbedingter wirtschaftlicher Schäden in der Milchviehhaltung.

    Welcher Schaden entsteht durch Klauenkrankheiten?
    Klauenkranke Kühe bedingen bereits zu einem Zeitpunkt wirtschaftliche Verluste, zu dem die Lahmheit noch nicht augenscheinlich ist. Die Verluste werden zunächst vor allem durch einen Rückgang in der Milchleistung bedingt. In einem späteren Stadium wird kommt es zu Verlust in der Körperkondition, zu Kosten durch einen größeren Arbeitsaufwand (Nachtreiben lahmer Tiere), vermindertem Schlachtgewinn und Kosten für die tierärztliche Behandlung. Des Weitern können Bakterien durch die Defekte an den Klauen in den Körper der Kuh eindringen, sich in inneren Organen der Tiere ansiedeln und zu Abszessbildung oder Herzklappenentzündung führen. Dr. Kümper aus Gießen schätzt die Gesamtkosten für eine lahme Kuh, die tierärztlich behandelt werden muss, auf einen Betrag von bis zu 600 ?.

    Welche Bedeutung haben Lahmheiten für den Tierschutz?
    Laut Tierschutzgesetz darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Leiden oder Schaden zufügen. Zahlreiche Studien belegen, dass das Wohlbefinden lahmer Kühe beeinträchtigt ist. Die Einschränkungen des Wohlbefindens zeigte sich vor allem in einem veränderten Verhalten. Lahme Kühe nehmen weniger Futter auf, vermeiden es, sich abzulegen und nehmen abnormale Haltungen ein. Im Blut klauenkranker Kühe wurden erhöhte Spiegel des Stresshormons Cortisol nachgewiesen. Da der Konsument von Tieren stammender Lebensmittel an einer tiergerechten Haltung interessiert ist,

    Welche Klauenkrankheiten haben die größte Bedeutung?
    Grundsätzlich wird zwischen Erkrankungen der Klauenhaut und Erkrankungen des Klauenschuhs unterschieden. Darüber hinaus wird zwischen infektiösen und nicht infektiösen Klauenkrankheiten unterschieden. Bei den Erkrankungen der Klauenhaut spielen vor allem bakterielle Infektionen eine Rolle, während bei den Erkrankungen des Klauenschuhs ,mehr die Folgen mangelhafter Klauenpflege und die Rehe bedingten Erkrankungen im Vordergrund stehen.

    Erkrankungen der Klauenhaut

    Mortellaro?sche Krankheit (Dermatitis Digitalis)
    Die Dermatitis Digitalis (Mortellarosche Krankheit) ist eine Hautentzündung, die vornehmlich im Bereich der Fesselbeuge am Übergang der Haut zum Ballenhorn und an der Haut im Zwischenklauenspalt vor allem an den Hinterbeinen vorkommt. Die Krankheit hat sich weltweit zu einem ernsthaften Herdenproblem entwickelt.
    Die genaue Ursache der Dermatitis Digitalis ist noch nicht hinreichend bekannt. Neben Schädigungen der Zwischenklauenhaut durch feuchte, unhygienische Bodenverhältnisse werden neben verschiedenen Bakterienarten immer spiralförmige Bakterien im befallenen Gewebe gefunden.
    Im Anfangsstadium der Dermatitis Digitalis zeigen sich in der Ballenfurche kreisrunde oder längsovale gelblich-graue Hautveränderungen mit schmierigem Belag, die im akuten Stadium eine schmerzhafte, erdbeerähnliche Oberfläche haben und unter Bildung von braunen Krusten abheilen. Sobald die Krankheit in eine Herde hineingetragen wurde, verschwindet sie nie ganz. Die Veränderungen an den Klauen durchlaufen jedoch verschiedene Stadien, wobei im Frühjahr und Herbst bisweilen explosionsartig vor allem bei jungen Tieren akute Stadien auftreten. Die Tiere stehen dann vor allem auf der Klauenspitze und trippeln hin und her. Durch Vorbeuge- und Behandlungsmaßnahmen hat sich das Bild der DD verändert. Es treten vor allem die chronischen Stadien auf, die zu warzenförmigen Veränderungen an der Klauenhaut führen.

    Klauenfäule
    Bei der Klauenfäule (Dermatitis Interdigitalis) handelt es sich um eine Entzündung der Zwischenklauenhaut, welche nicht in tiefere Hautschichten ausstrahlt. Die Krankheit kommt weltweit gehäuft in den Wintermonaten vor und kann alle Tiere einer Herde erfassen. Als verantwortlicher Erreger gilt ein Bakterium Dichelobacter (Bacteroides) nodosus, das, begünstigt durch feuchtwarmes Milieu und starke Verschmutzung der Umgebung, die Zwischenklauenhaut aufweicht und so auch anderen Keimen den Weg bereitet. Die Zwischenklauenhaut ist anfangs feucht und gerötet, später von schmutzig-gelbbraunem, süßlich- faul stinkendem Belag bedeckt und oberflächlich zerfurcht. Betroffene Tiere zeigen abwechselnde Entlastung der erkrankten Gliedmaßen, nur selten kommt es zu einer Lahmheit. Im Verlauf der Erkrankung kommt es durch den Entzündungsreiz zur Bildung minderwertigen Hornes, das die empfindliche Haut im Zwischenzehenbereich schädigt.

    Ballenfäule
    Die Ballenfäule ist nicht deutlich von der Klauenfäule zu unterscheiden. Verursacht wird die Krankheit durch Schädigung des Ballenhornes durch Feuchtigkeit und aggressive Substanzen (Gülle) aus der Umgebung. Zunächst fällt die unregelmäßige Oberfläche des Ballenhornes auf, aus dem sich Substanzen herauslösen. Die zunächst umschriebenen Veränderungen bilden später Furchen, die bis zur Lederhaut reichen und diese schädigen können.

    Zwischenzehenphlegmone (Panaritium)
    Die Zwischenzehenphlegmone ist eine akut verlaufende tiefreichende Entzündung des Zwischenzehengewebes, die durch das Zusammenwirken verschiedener Bakterien (Fusobacterium necrophorum, Prevotella (Bact.) melaninogenica(us)) verursacht wird. Meist tritt ganz wird plötzlich eine starke Lahmheit auf, die mit einer Schwellung des Unterfußes verbunden ist. Nicht selten tritt Fieber auf. Die entzündete und geschwollene Zwischenzehenregion weist nach einiger Zeit einen gezackten Riss auf, aus dem sich eine gelbbraune, faulig riechende Flüssigkeit entleert. Bei gutartigem Verlauf kann das abgestorbene Gewebe nach 3 ? 5 Tagen abgestoßen werden, es kann allerdings auch zu Komplikationen mit Entzündung tiefer gelegener Strukturen wie Sehnen, Gelenke und Knochen kommen.

    Zwischenklauenwulst (Tylom, Limax)
    Der Zwischenklauenwulst stellt eine Gewebszubildung im Zwischenzehenspalt dar. Neben dem ererbten Zwischenklauenwulst, der vor allem bei Kühen mit Anlage zu Spreizklauen besteht, führen vor allem entzündungsbedingte Reizungen der Zwischenzehenhaut (siehe oben) zu der Gewebszubildung in diesem Bereich.

    Erkrankungen der Klaue
    Erkrankungen an der Klaue selbst entstehen in aller Regel als Folge ungleichmäßiger Belastungsverhältnisse an der Klaue infolge vernachlässigter Klauenpflege oder als Komplikation der Klauenrehe sowie infolge ungünstiger Bodenverhältnisse (harte oder unregelmäßige Oberflächen). Da die Rehe in einem anderen Vortrag behandelt wird, werden diese Erkrankung und ihre Folgen an dieser Stelle nicht beschrieben.

    Sohlengeschwür
    Ein typisches Klauensohlengeschwür ist das Rusterholzsche Sohlengeschwür, das an der Sohle am Übergang vom Sohlenhorn zum Klauenhorn in der Nähe des Zwischenzehenspaltes auftritt. Je nachdem, ob der Prozess nur bis zur Lederhaut reicht oder tiefere Strukturen wie Sehnen und Knochen betrifft, unterscheidet man das oberflächliche vom tiefen Sohlengeschwür. Ursache für ein typisches Klauensohlengeschwür ist ein unter unphysiologischen Belastungsverhältnissen ausgeübter Druck des Beugesehnenhöckers des Klauenbeins auf die empfindliche Sohlenlederhaut, die dann ein minderwertiges Sohlenhorn bildet, durch das Keime eindringen und die Lederhaut infizieren können. Solange der Hornschuh noch geschlossen ist, zeigen die Patienten lediglich vorsichtig zögernden Gang oder leichte Lahmheit; liegt die Lederhaut bloß, nimmt der Lahmheitsgrad zu und das Tier ist bemüht, den hinteren Abschnitt der betroffenen Klaue zu schonen.

    Weiße-Linie-Defekt
    Ein Weiße-Linie-Defekt (white-line-disease) stellt eine Aufweichung oder Zusammenhangstrennung im Bereich der empfindlichen weißen Linie, also der Verbindung zwischen Wand und Sohlenhorn dar. Fremdkörper können an dieser Stelle leicht eindringen. Beschädigungen der weißen Linie dehnen sich schnell aus (Reißverschlusseffekt). Laufwege mit rauem, losem Bodenbelag, Feuchtigkeit und insbesondere Rehe begünstigen das Entstehen von Defekten an der weißen Linie.

    Zehenspitzengeschwür
    Eine Zehenspitzenquetschung geht mit Einblutungen im Bereich der Zehenspitze einher. Eine Zehenspitzenentzündung ist eine heftige Entzündung in dem Spitzenbereich der Klaue. Als Ursache für Erkrankungen der Zehenspitze werden zu starkes Kürzen der Klaue bei der Klauenpflege, chronische oder subklinische Klauenrehe, sowie harte Liegeflächen und eingedrungene Fremdkörper angeführt.

    Wodurch werden Klauenkrankheiten verursacht?
    Zum Entstehen der üblicherweise in der modernen Milchrinderhaltung auftretenden Klauenkrankheiten tragen verschiedene Faktoren bei, wobei prädisponierende und auslösende Faktoren unterschieden werden, welche in komplexer Weise zusammenwirken und generell folgenden vier Problemkreisen zuzuordnen sind: Tiereigene Faktoren, Haltungssystem, Fütterung und bakterielle Erreger. Zu den tiereigenen Faktoren zählen Genetik und Zucht. Weiterhin sind als tiereigene Faktoren der allgemeine Gesundheitszustand und die Hormon- und Stoffwechsellage der Kuh, bedingt durch Lebensalter, Zyklus-, Laktations oder Trächtigkeitsstadium zu nennen. Ebenfalls als individuelle Risikofaktoren für klinische Lahmheit wurden Körpergewicht, Körperkonditionswert und Klauenmaße wie der hintere laterale Klauenwinkel und die Klauenhornhärte nachgewiesen.
    Mängel im Stallbau bzw. der Ausstattung der Ställe gelten als wichtige Faktoren für die Entstehung von Klauenleiden. Vor allem ungeeignete Liegeboxen und mangelhafte Laufgänge werden für Klauenschäden verantwortlich gemacht.

    Hinsichtlich des Einflusses von Fütterung auf die Entstehung von Klauenleiden wird auf den Vorredner verwiesen.

    Neue Ansätze zu Diagnostik, Früherkennung, Prophylaxe und zur Bewertung der Umgebung ? Indices und Scores als Diagnostische Hilfsmittel zur Erfassung der Klauengesundheit

    Aufgrund der immensen Bedeutung von Lahmheiten und Klauenkrankheiten in der modernen Milchviehhaltung und der vielschichtigen und komplex miteinander verwobenen Ursachen, die diesen Erkrankungen zugrunde liegen, bedarf es einheitlicher, gut praktikabler und ebenso wissenschaftlich fundierter Methoden, um die Klauengesundheit auf Herdenebene zu beurteilen, sodass Krankheiten frühzeitig erkannt und ihnen vorgebeugt werden kann. Unter dem Aspekt des Tierschutzes betrachtet, erhält die Erarbeitung solcher Methoden eine zusätzliche Bedeutung, nämlich als Teil des Bemühens um Systeme, mit welchen sich allgemein die Tiergerechtheit eines Haltungssystems ermitteln lässt, wie sie nicht zuletzt der aufgeklärte Verbraucher fordert. Schwierigkeiten bei der Anwendung vorhandener Systeme zur Beurteilung der tatsächlichen Tiergerechtheit eines Haltungssystems werden vergrößert durch oftmals unklare oder fehlende Definitionen der Begriffe wie ?artgemäß?, ?verhaltensgerecht? oder ?tierschutzgerecht. Im Begriff ?tiergerecht? werden die Bezeichnungen ?artgemäß? und ?verhaltensgerecht? zusammengefasst und er kann denjenigen Haltungsbedingungen zugesprochen werden, welche die körperlichen Funktionen der in ihnen lebenden Tiere nicht beeinträchtigen, deren Anpassungsfähigkeit nicht überfordern und deren Verhaltensmuster nicht so einschränken, dass dadurch Schmerzen, Leiden oder Schäden entstehen..

    Konzepte zur praktischen Anwendung solcher Methoden in verschiedenen Kombinationen wurden in unterschiedlicher Form und mit unterschiedlichem Hintergrund veröffentlicht. Sehr praxisorientierte, an Landwirte und Veterinäre gleichermaßen gerichtete Vorschläge zur Überwachung der Herdengesundheit, die Klauengesundheit inbegriffen, mittels der Erfassung so genannter Kuhsignale, sprich systematischer Tierbeobachtung, präsentiert der niederländische Tierarzt Jan Hulsen (2004). Weiter gibt es sich eher an Tierärzte und Berater richtende Ansätze, mittels Checklisten Befunde zu bestimmten Beobachtungen am Tier und an der Haltungsumwelt zu erheben, um vorbeugend oder bei bereits bestehenden Bestandsproblemen schnell Fehlerquellen aufspüren zu können.
    Stallbezogene Eigenschaften schließen den Tiergerechtheitsindex ein sowie verschiedene Methoden zur Beurteilung des vom Komfort abhängigen Tierverhaltens.
    Tierbezogene Eigenschaften beziehen sich auf die Dokumentation der Körperkondition, von Veränderungen an den Klauen, der Beurteilung der lahmen Tiere sowie Untersuchungen zur Stoffwechselsituation der Tiere.