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Dystonien gehören zu den häufigsten Bewegungsstörungen beim Menschen und sind charakterisiert durch unwillkürliche Muskelkokontraktionen, die repetitive drehende Bewegungen verursachen. Der dtsz-Hamster repräsentiert heute das einzige etablierte und gut charakterisierte Tiermodell für die sog. primäre paroxysmale non-kinesiogene dystone Choreoathetose (PDC) des Menschen, bei der dystone Attacken u.a. durch Streß ausgelöst werden und mehrere Stunden anhalten können. Wie bei anderen primären Dystonieformen sind keine pathomorphologischen Veränderungen im ZNS durch Standardtechniken nachweisbar, Befunde bei sekundären Dystonieformen lassen jedoch auf biochemische Dysfunktionen innerhalb der Basalganglien, insbesondere des Striatums, schließen. Aufgrund mangelnder Kenntnisse über die Pathophysiologie dieser Erkrankungen fehlen rationale Therapieansätze. Die primäre Dystonie des dtsz-Hamsters hat einen altersabhängigen Verlauf und erlaubt daher vergleichende Untersuchungen zwischen Tieren im Alter der maximalen Ausprägung (30. – 42. Lebenstag) und nach der Spontanremission (>90. Lebenstag). Immunhistochemische Untersuchungen zeigten als vermutlichen Primärdefekt eine reduzierte Dichte hemmender striataler GABAerger Parvalbumin-immunreaktiver (PV+) Interneurone, die sich im Alter nach der Spontanremission normalisierte (Richter und Hamann, 2002). Die immunhistochemische Markierung und Zählung der funktionell eng mit dem glutamatergen System verknüpften striatalen Stickoxidsynthetase-immunreaktiven (NOS+) Interneurone sollte klären, ob ein weiterer Interneuronentyp im Striatum des dtsz-Hamsters von einer veränderten Dichte betroffen ist. Den Hinweisen auf die Involvierung einer erhöhten kortikostriatalen glutamatergen Aktivität in die Manifestation dystoner Attacken der Hamstermutante, die sowohl elektrophysiologische, als auch neurochemische und pharmakologische Untersuchungen lieferten, sollte in der vorliegenden Arbeit durch striatale Manipulationen von Glutamat-Rezeptoren nachgegangen werden. Ergänzend sollte die striatale Applikation von Inhibitoren der neuronalen Stickoxid-Synthetase (nNOS) über die Rolle einer möglicherweise abnormen striatalen NMDA-Rezeptor-stimulierten NO-Freisetzung bzw. über die Bedeutung eines hier in nachgewiesenen NOS+-Interneuronenmangels Aufschluß geben. Die Zählung der immunhistochemisch markierten striatalen NOS+-Interneurone im Alter der maximalen Ausprägung der Dystonie ergab beim dtsz-Hamster eine signifikant reduzierte Dichte im Gesamtstriatum (-21%) im Vergleich zu gleichaltrigen Kontrolltieren. Im Alter nach der Spontanremission der Dystonie war dieser Mangel nicht mehr nachweisbar war. Dieses Defizit an NOS+-Interneuronen im Dystonie-relevanten Alter ist aber offenbar nicht kritisch in die Pathophysiologie der PDC des dtsz-Hamsters involviert, weil die intrastriatale Mikroinjektion der nNOS-Inhibitoren 7-NI und NPLA keinen signifikanten Effekt auf den Schweregrad der Dystonie hatte. Im Gegensatz zu der zentralen Bedeutung der reduzierten Dichte der striatalen PV+-Interneurone in der primären Dystonie der Hamstermutante scheint es sich bei der verminderten Dichte der striatalen NOS+-Interneurone daher eher um ein Epiphänomen zu handeln, das auf eine insgesamt verzögerte postnatale Zellmigration striataler Interneuronen bei der dtsz-Mutante beruhen mag. Die in früheren Untersuchungen nachgewiesene antidystone Wirkung systemisch applizierter Glutamatrezeptorantagonisten konnte nach striataler Verabreichung nur mit dem AMPA-Rezeptorantagonisten NBQX in der Dosierung 0,08 µg pro Hemisphäre und in gleicher Dosierung in Kombination mit dem NMDA-Rezeptorantagonisten AP-5 (0,5 µg) erzielt werden. Bei letzterer zeigte sich jedoch keine potenzierende Wirkung auf das Ausmaß der Reduktion des Schweregrades. In den weiteren drei getesteten Dosierungen 0,03 µg, 0,16 µg und 0,25 µg NBQX pro Hemisphäre trat, bei den höheren Konzentrationen vermutlich aufgrund der Hemmung der an sich schon in der Dichte verminderten PV+-Interneurone, keine Reduktion des Schweregrades der dystonen Attacken mehr ein. Keiner der striatal applizierten NMDA-Rezeptorantagonisten konnte einzeln appliziert den Schweregrad der Dystonie vermindern. Diese Befunde deuten in Hinblick auf die systemisch erzielten antidystonen Effekte auf eine Involvierung des glutamatergen Systems anderer Hirnregionen in die Pathophysiologie der primären Dystonie des dtsz-Hamsters hin, was mit früheren neurochemischen Studien übereinstimmt. Insgesamt stützen die Resultate nicht die Hypothese einer kritischen Involvierung des striatalen glutamatergen Systems bei der Manifestation dystoner Attacken des dtsz-Hamsters. Die hier nachgewiesene reduzierte Dichte der striatalen NOS+-Interneurone sollte Anlaß zu Untersuchungen anderer striataler (Inter-)Neuronentypen geben.