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Die Nahrungsaufnahme steht in enger Beziehung zum Ernährungsstatus des Organismus, welcher durch die Verfügbarkeit von Energie, unter anderem in Form von Glukose, charakterisiert ist. Es ist seit langem bekannt, dass ein Abfall des Blutglukosespiegels ein wirksamer Auslöser von Nahrungsaufnahme ist. Dagegen ist bisher nur wenig bekannt über Nahrungsaufnahme bedingte Änderungen zerebraler Glukosekonzentrationen. Im Hypothalamus und im Hirnstamm sind Neurone lokalisiert, die auf Schwankungen des extrazellulären zerebralen Glukosespiegels mit einer Änderung der Frequenz ihres Aktionspotentials reagieren. Interessanterweise sind diese Neurone eng mit weiteren hypothalamischen Kerngebieten verknüpft, welche an der Kontrolle von Nahrungsaufnahme beteiligt sind. Die Fähigkeit dieser Neurone auf sich ändernde extrazelluläre Glukosekonzentrationen zu reagieren, wurde kürzlich im Zusammenhang mit der Initiierung der Nahrungsaufnahme diskutiert. Das Ziel der vorliegenden in vivo Mikrodialysestudie war es, Änderungen der extrazellulären Glukosekonzentrationen im VMH von Ratten in Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme zu untersuchen. Hierfür wurden zunächst die absoluten Glukosekonzentrationen im VMH nichtfutterdeprivierter und futterdeprivierter Ratten mittels der ZNF-Mikrodialyse bestimmt. Die Ergebnisse zeigen, dass die extrazellulären Glukosekonzentrationen im VMH nichtfutterdeprivierter Ratten höher sind (1,43 mM), als bei Ratten nach einer vorausgegangenen 24-stündigen Futterdeprivation (0,94 mM). Ergänzend dazu wurden an nichtfutterdeprivierten Vergleichstieren die Blutglukosekonzentrationen bestimmt und mit den absoluten Glukosekonzentrationen im VMH verglichen. Wie erwartet sind die Konzentrationen von Glukose im Blut der Vergleichstiere deutlich höher als die extrazellulären Glukosekonzentrationen im VMH der Versuchstiere. Um den Einfluss von Nahrungsaufnahme auf den Verlauf hypothalamischer Glukosekonzentrationen zu untersuchen, wurden die relativen Änderungen des Konzentrationsverlaufes von Glukose im VMH im Vergleich zu einem Ausgangsniveau (Basislinie) bestimmt. Dafür erfolgten die Experimente unter verschiedenen Fütterungsbedingungen (mit Futter/ohne Futter) und in Abhängigkeit vom Fütterungsstatus (nicht-futterdepriviert/futterdepriviert). Da Ratten vorwiegend nachtaktiv sind, wurden die Experimente unter Berücksichtigung des natürlichen Tag-/Nachtrhythmus der Tiere durchgeführt. Die Versuche begannen 90 Minuten vor und endeten 120 Minuten nach Beginn der Dunkelphase. Während die Untersuchungen des Zeitraumes vor Beginn der Nahrungsaufnahme nur geringfügige Hinweise auf Veränderungen des Konzentrationsverlaufes von Glukose im VMH liefern, belegen die Ergebnisse dieser Studie eindeutig, dass die extrazellulären Glukosekonzentrationen im VMH von Ratten nach Nahrungsaufnahme signifikant ansteigen und dieser Anstieg durch eine vorausgegangene Futterdeprivation noch verstärkt werden kann. Interessant ist hierbei, dass der beobachtete nahrungsbezogene Anstieg in keinem linearen Bezug zu der von den Tieren aufgenommenen Futtermenge steht. Weiterhin wurde verglichen, ob und inwiefern sich in Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme Veränderungen der hypothalamischen Glukosekonzentrationen vom Verlauf des Blutglukosespiegels unterscheiden. Im Vergleich zu dem deutlichen und raschen Anstieg von Glukose im VMH von Ratten nach Nahrungsaufnahme, treten bei Vergleichstieren im selben Zeitraum keine signifikanten Veränderungen der Blutkonzentrationen von Glukose auf. Zusätzlich wurden im Rahmen dieser Arbeit Änderungen im Konzentrationsverlauf von extrazellulärem Laktat im VMH untersucht, da dieses Substrat in einem engen Zusammenhang zum Glukosestoffwechsel steht. Unabhängig von dem Fütterungsstatus und von der Futterverfügbarkeit zeigte der Konzentrationsverlauf extrazellulären Laktats im VMH über den gesamten Versuchszeitraum einen deutlichen Anstieg im Vergleich zur Basislinie. Wie bei Glukose steht auch hier der Anstieg bei den Ratten mit Futter in keinem linearen Zusammenhang mit der aufgenommenen Futtermenge. Das Laktat/Pyruvat-Verhältnis dagegen, zeigte über den gesamten Versuchszeitraum keine signifikante Änderung im Vergleich zur Basislinie. Insgesamt konnte anhand der vorliegenden Mikrodialysestudie erstmals ein Zusammenhang zwischen den Glukosekonzentrationen im VMH und der Nahrungsaufnahme demonstriert werden. Nach Beginn der Nahrungsaufnahme zeigte sich ein deutlicher Anstieg der Glukosekonzentration, der durch eine vorausgegangene Futterdeprivation noch verstärkt werden konnte. Während bisher zahlreiche in vitro Studien belegen, dass Änderungen der extrazellulären Glukosekonzentrationen die Aktivität bestimmter Neuronenpopulationen im VMH beeinflussen können, konnte hier durch eine in vivo Studie nachgewiesen werden, dass derartige Konzentrationsänderungen unter physiologischen Bedingungen tatsächlich auftreten. Die Unterschiede zwischen nicht-futterdeprivierten und futterdeprivierten Ratten weisen darauf hin, dass zwischen dem Ernährungsstatus und dem Anstieg extrazellulärer Glukose im VMH nach Nahrungsaufnahme ein Zusammenhang besteht. Diskutiert wird hier die Beteiligung adaptiver Mechanismen des zerebralen Glukosetransportes an sich ändernde nutritive Bedingungen. Denkbar sind ebenfalls kompensatorische Maßnahmen des Gehirns, beispielsweise in Form von einer Entspeicherung zerebraler Glykogenreserven. Die Ergebnisse deuten außerdem an, dass sich der Konzentrationsverlauf extrazellulärer Glukose im Gehirn nicht in gleicher Weise wie die Blutglukosekonzentration ändert. Das spricht für eine Entkopplung der zerebralen Regulationsmechanismen von der Peripherie, um bei einer drohenden energetischen Unterversorgung primär die Glukoseversorgung des Gehirns zu sichern. Die Zusammenhänge zwischen Nahrungsaufnahme, zerebralen Glukosekonzentrationen und den beteiligten Mechanismen und deren physiologische Bedeutung erscheinen äußerst komplex. Die physiologische Bedeutung der in dieser Studie nachgewiesenen Änderung hypothalamischer Glukosekonzentrationen könnte in der Beeinflussung neuronaler Genexpression sowohl von orexigenen als auch von anorexigenen Faktoren liegen. Derartige Effekte sind bereits unter in vitro Bedingungen nachgewiesen worden.