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Entsprechend den Anforderungen des neuen Tierschutzgesetzes von 1998 sollte versucht werden, ein für das Tier verträgliches, minimal-invasives Kastrationsverfahren für Bullenkälber zu entwickeln. Es wurde untersucht, inwieweit Parameter der Diathermie von den Tieren vertragen werden, und ob mit dieser Methode ein Verschluss der Arteria testicularis erreicht werden kann.
Dazu wurde ein diathermisches Operationsbesteck entwickelt, das aus einem Generator, einem Handstück, einer Nadelelektrode sowie einer Neutralelektrode besteht. Eine bipolare Anwendung von perkutan wirksamen Nadelelektroden in Verbindung mit einer Arretierzange für den Hodensackhals erwies sich als nicht realisierbar, so dass teflonbeschichtete monopolare Nadelelektroden manuell in den Bereich der Samenstranggefäße gesetzt wurden.
Im Vergleich zur Kastrationsmethode nach Burdizzo wurden 113 Bullenkälber mit diesem mobilem Gerät mittels einer monopolaren Nadelelektrode und einer großflächig ausgebildeten Neutralelektrode diathermisch behandelt.
Bei diesen Tieren wurden die Bluttestosteronwerte nach einem GnRH-Stimulationstest etwa eine Woche nach der Behandlung und die Hodenbeschaffenheit nach der Schlachtung beurteilt. Nach einem anfänglichen Gefäßverschluss der Arteria testicularis bei 52,2 Prozent der Tiere (durchschnittliche Testosterongehalt <0,1nmol/l) ergab sich nach der Schlachtung von 49 diathermisch behandelten Tieren sieben Monate später bei 14,3 Prozent ein beidseitiger und bei 36,7 Prozent ein einseitiger Verschluss dieser Arterie und damit nach Ischämie und anämischer Nekrose ein Funktionsausfall der betreffenden 32 Hoden.
Lediglich sieben diathermisch behandelte Tiere wiesen einen beidseitigen Kastrationseffekt auf. Der Tetosterongehalt des Blutes der 18 Bullenkälber, die nur einseitig erfolgreich diathermisch kastriert wurden, lag mit durchschnittlich 0,37 nmol/l über dem von vergleichbaren Kontrolltieren (0,21 nmol/l). Die jeweils verbliebene funktionsfähige Gonade hypertrophierte und ihr Gewicht nahm im Vergleich zu unbehandelten Hoden der gleichen Altersklasse um etwa 40 Prozent zu.
Grundsätzlich lässt sich mit Hilfe von diathermisch erzeugten Koagulationsnekrosen für einen geübten Anwender ein Kastrationserfolg erzielen, der durch anatomische und hormonelle Befunde dokumentiert werden kann. Die Parameter der Diathermie sind verwendbar und werden ohne erkennbare Störung des Allgemeinbefindens vertragen. Jedoch ergeben sich durch häufiges Ausbleiben der Unterbrechung der Blutzufuhr bzw. durch Reorganisation des geschädigten Gewebes überwiegend unsichere und nicht wiederholbare Kastrationseffekte, so dass diese Methode nur experimentellen Charakter und damit keine praktische Relevanz hat.
Die diathermische Aktivelektrode in Form einer Injektionskanüle mit entsprechender Isolation kann mehrere Optionen für eine tierärztliche Anwendung erschließen, so unter anderem eine gezielte Koagulation der Gefäße und Gewebe, die entsprechend den topographisch-anatomischen Gegebenheiten definiert erreicht werden können. Ähnlich der nichtinvasiven Operationstechnik können so Eingriffe vorgenommen werden, wobei nur eine Injektionsstelle vorzubereiten und zu versorgen ist.
Das anatomisch genaue Setzen von Koagulationsnekrosen mittels Diathermie unter Sichtkontrolle würde die neu entwickelte Methode erheblich aufwerten, ist aber zeit- und operationsaufwendig. Durch die damit verbundene Eröffnung des Skrotums ist die Methode nicht mehr ausschließlich minimal- invasiv und weniger tierverträglich.
Eine Ausschüttung von Testosteron nach GnRH-Stimulation ist als Indikator des Kastrationseffektes auch bei sehr jungen Bullenkälbern möglich, kann aber bei der diathermischen Behandlungsmethode zu Fehlinterpretationen führen.
Die in den eigenen Untersuchungen nach GnRH-Stimulation bei sechs Wochen alten Bullenkälbern ermittelten Testosteronwerte bestätigen mit durchschnittlich 0,21- 0,37 nmol/l die wenigen Einzelwerte, die von MONGKONPUNYA et al. (1975) und KESLER et al. (1976) gefunden wurden.
Eine transkutane Ligatur der Gefäße des Samenstranges als tiergerechte Kastrationsmethode erscheint in der gegenwärtigen Entwicklungsphase alternativ möglich und kann dem praktischem Tierarzt im Zusammenhang mit einer Sedation beim Enthornen von Bullenkälbern empfohlen werden.
Durch die minimal-invasive, selektive Unterbindung des Samenstranges bzw. seiner Gefäße erscheint sie aus der Praxiserfahrung heraus tierverträglicher als die Burdizzo-Methode. Eine Kastration mit der Burdizzo-Zange kann bei älteren Bullenkälbern und Bullen weiterhin angewendet werden. Bedingt durch die komplexe Schädigung des gesamten Hodens ist bei sachgemäßer Handhabung der Burdizzo-Zange eine erfolgreiche Kastration mit dieser Methode relativ sicher.