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Fachbereich Veterinärmedizin


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    Zum Umgang mit überzähligen Tieren in Zoologischen Gärten:
    Besucherbefragung im Tiergarten Nürnberg und Zoo Leipzig (2008)

    Art
    Hochschulschrift
    Autor
    Hildebrandt, Wendy (WE 11)
    Quelle
    Berlin: Mensch und Buch Verlag, 2008 — 151 Seiten
    ISBN: 978-3-86664-428-1
    Verweise
    URL (Volltext): https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/11335
    Kontakt
    Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde

    Königsweg 67
    14163 Berlin
    +49 30 838 61146
    tierschutz@vetmed.fu-berlin.de

    Abstract / Zusammenfassung

    Gemäß §17 Nr.1 des deutschen Tierschutzgesetzes darf ein Wirbeltier nur bei Vorliegen eines „vernünftigen“, d.h. von der Allgemeinheit akzeptierten Grundes getötet werden. (Lorz/Metzger, 1999; Kluge, 2002)
    Diese Akzeptanz schien im Falle des Tötens überzähliger Zootiere zu fehlen. Ein Beispiel: Nachdem im Februar 1998 zwei Braunbären im Zoo Leipzig getötet wurden, wurde in den Medien ausführlich darüber berichtet. Etwa 250 Menschen versammelten sich zu einem Andachtsgottesdienst für die beiden getöteten Bären und der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes rief zum landesweiten Boykott Zoologischer Gärten auf. Fraglich war bislang, inwieweit es sich bei diesem Protest um eine repräsentative Ablehnung handelt, die von der Mehrheit der Bevölkerung vertreten wird, oder ob diese Reaktion von den Medien gefördert wurde und tatsächlich nur der Haltung einer Minderheit entspricht.
    Da bisher keine empirischen Daten über die Einstellung der Bevölkerung zu dieser Problematik vorliegen, wurde im Rahmen dieser Arbeit eine Umfrage „zum Umgang mit überzähligen Tieren in Zoologischen Gärten“ durchgeführt. Bei der Wahl der Befragtengruppe wurde angestrebt, Personen anzusprechen, bei denen von einer hohen Bereitschaft, sich mit der Rolle Zoologischer Gärten und dem Umgang mit Zootieren auseinanderzusetzen, ausgegangen werden konnte. Daher wurde die Umfrage unter Besuchern in Zoologischen Gärten durchgeführt. Als Befragungsorte wurden der Tiergarten Nürnberg (1. bis 17. Januar 2007) und der Zoo Leipzig
    (1. bis 10. März 2007) gewählt. Insgesamt wurden 1006 Besucher befragt (511 Personen im Tiergarten Nürnberg und 495 im Zoo Leipzig).
    Um zu gewährleisten, dass allen Befragten die gleiche Information zur Verfügung stand und um eine Beeinflussung bei der Beantwortung zu vermeiden, wurden die Daten mittels eines Fragebogens (siehe 3.3 Fragebogen) erhoben, der von den Befragten selbstständig ausgefüllt wurde.
    Für die Feststellung, ob die demographische Struktur der Befragten von der deutschen Allgemeinbevölkerung abweicht, wurden die Daten denen von Standarddemographien gegenübergestellt. Dieser Vergleich ergab, dass bei der vorliegenden Erhebung die jüngeren Altersgruppen (16-25 und 26-45 Jahre), Frauen sowie Personen mit höherem Bildungsabschluss (Abitur/Fachabitur und Hochschulabschluss/Fachhochschulabschluss) überrepräsentiert waren. Allerdings bestanden bei Umfragen unter Besuchern im Zoo Frankfurt 2005 und im Zoo Leipzig 2005 die gleichen Abweichungen von der deutschen Standarddemographie. Somit scheint die ermittelte demographische Struktur charakteristisch für Zoobesucher zu sein.
    Um eine Aussage über die Repräsentanz der Erhebung zu erhalten, wurde untersucht, ob auffällige Differenzen zwischen den Antworten an den beiden Befragungsorten bestanden. Hierbei konnten für keine der untersuchten Fragen deutliche Abweichungen festgestellt werden. Die Ergebnisse aus dem Tiergarten Nürnberg und dem Zoo Leipzig zeigten sogar eine ausgeprägte Übereinstimmung, was auf eine hohe Repräsentanz der Erhebung schließen lässt.
    Zu Beginn des Fragebogens wurde den Befragten vorgestellt, welche Argumente von Seiten der Zoos angeführt werden, die Vermehrung der Zootiere auch dann nicht zu verhindern, wenn es zu überzähligen Tieren kommen kann. Genannt wurden hier die Ermöglichung von Fortpflanzungsverhalten, die Aufzucht von Jungtieren und das Leben im Familienverband sowie der Verzicht auf Geburtenkontrolle bei Nebenwirkungen oder Verhaltensstörungen, die Erhaltungszucht bedrohter Tierarten, die wissenschaftliche Forschung und die Bildung der Besucher. Diese Argumente sollten von den Besuchern ihrer Bedeutung entsprechend zwischen sehr wichtig und nicht wichtig eingestuft werden (Frage 1). Bei der nächsten Frage sollten sie bewerten, welches dieser Argumente ihrer Meinung nach auch die Tötung eines Tieres rechtfertigen könnte (Frage 2). Für beide Fragestellungen ergab sich die Reihenfolge:
    Erhaltungszucht > artgerechte Haltung > Tiergesundheit > Wissenschaft > Bildung der Besucher.
    Anschließend sollten die Befragten angeben, ob sie es prinzipiell akzeptieren würden, wenn nach vollzogener Abwägung im Einzelfall die Entscheidung zur Tötung getroffen wird (Frage 3). Diese Frage wurde mit 55,6 % von der Mehrheit bejaht, wobei die Zustimmung bei den älteren Befragten deutlich höher ausfiel als bei den jüngeren und zudem bei Männern deutlich höher als bei Frauen. Mit 34,4 % lehnte ca. ein Drittel die Tötung grundsätzlich ab und 8,4 % waren unentschieden. Insgesamt war nach Meinung der Besucher die Voraussetzung ausschlaggebend, dass die Entscheidung zum Wohle der Tiere getroffen wird. So war für die Befragten die Tötung vor dem Hintergrund der Erhaltungszucht, artgerechten Tierhaltung und Tiergesundheit eher gerechtfertigt als zur Förderung von Forschung und Bildung.
    Ganz deutlich wurde durch die Ergebnisse der Umfrage, dass der Großteil der Besucher sich zwar für die Thematik interessierte und Stellung bezog, jedoch nicht aktiv in die Entscheidung einbezogen werden wollte (95,4 %, Frage 6) und auch die Einbeziehung der Öffentlichkeit nicht für sinnvoll erachtete (86,2 %, Frage 7). Bei der Frage, wer an der Entscheidung beteiligt sein sollte, entfielen die meisten Stimmen auf den Zootierarzt, den zuständigen Pfleger und externe Fachleute (Frage 6).
    Auch nach dem Begriff des „vernünftigen Grundes“ zur Tötung eines Wirbeltieres im deutschen Tierschutzgesetz muss in Fällen, welche, wie die Tötung überzähliger Zootiere, nicht speziell gesetzlich geregelt sind, der Handelnde selbst in Form einer Güter- und Pflichtenabwägung prüfen, ob die Tat gerechtfertigt ist. Diese Abwägung muss für jeden Einzelfall individuell vollzogen werden, weil die jeweiligen Ausgangssituationen sehr stark variieren können. So ist die Entscheidung bei überzähligen Zootieren abhängig von der betreffenden Tierart, ihrem Fortpflanzungs-, Aufzucht- und Sozialverhalten, ihrem Gefährdungsstatus, zur Verfügung stehenden kontrazeptiven Möglichkeiten sowie der Zoologischen Einrichtung, ihren räumlichen Kapazitäten, finanziellen Mittel und vielen weiteren Faktoren. Diese umfassende Prüfung aller begleitenden Umstände und Alternativmöglichkeiten kann und will von der Öffentlichkeit nicht geleistet werden.
    Wie schwierig die Gesamtthematik für Fachfremde tatsächlich zu erfassen ist, zeigen auch die z.T. widersprüchlichen Antworten der Befragten. So stimmten die meisten in Frage 2 dafür, dass die Erhaltungszucht bedrohter Tierarten einen rechtfertigenden Grund für die Tötung überzähliger Zootiere darstellt (z.B. wenn ein Individuum genetisch überrepräsentiert ist und nicht mehr zur Zucht eingesetzt werden kann), bei der Frage welche Tiere grundsätzlich von der Tötung ausgeschlossen werden sollten (Frage 5), gab jedoch der überwiegende Teil „bedrohte Tierarten“ an.
    Dennoch müssen die gesellschaftlichen Wertvorstellungen über die Rechtfertigung zur Tötung von Tieren die Grundlage dieser Entscheidung bilden. Diese Forderung ergibt sich sowohl aus der Formulierung des „vernünftigen Grundes“ seitens der Gesetzgebung als auch durch die Tatsache, dass Zoologische Gärten als öffentliche Institutionen ihr Handeln jederzeit begründen müssen.
    Wie mit den Ergebnissen der vorliegenden Erhebung nachgewiesen werden konnte, entspricht die ablehnende Position zur Tötung eines überzähligen Zootieres nicht dem mehrheitlichen Meinungsbild der Befragten, denn die Mehrheit akzeptierte die Tötung im Einzelfall. Als wesentliche Bedingung für die Zustimmung ergab sich, dass die Entscheidung verantwortungsvoll im Sinne der Tiere getroffen wird. Zudem hat die Studie gezeigt, dass die Akzeptanz durch Information weiter gefördert werden kann. So war der Anteil an zustimmenden Antworten unter den Befragten, denen die Problematik bereits bekannt war (Frage 8), deutlich höher als bei den Probanden, denen die Thematik bisher unbekannt war.
    Die Ergebnisse der vorliegenden Studie können Zoologischen Gärten ermutigen, mit dem Thema der Tötung überzähliger Tiere offener umzugehen. Sie gewinnen in der Bevölkerung an Glaubwürdigkeit, dass sie ihre Entscheidung gewissenhaft und im Sinne der Tiere treffen, wenn sie offen zu ihren Handlungen stehen und die Gründe erläutern.