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Die Effektivität und Rechtfertigung jeder Therapie und anderen klinischen Ent-scheidung basieren auf einer korrekten Diagnose. Doch viele Arten von Untersu-chungsergebnissen können Unsicherheiten enthalten, die unter Umständen zu klinischen Fehlentscheidungen führen können. Das Ausmaß möglicher Unsicher-heiten hängt dabei – neben anderen Faktoren – von der Komplexität der Untersu¬chungsmethode und der Repräsentativität der Probe ab. Ähnliches gilt für die Belastbarkeit von Gutachten für gerichtliche Auseinandersetzungen.
Für einen professionellen Umgang mit Unsicherheiten sind Kenntnisse über ihre möglichen Ursachen unverzichtbar sowie ihre adäquate Kommunikation in Unter-suchungsberichten und Gutachten [1]. In diesem Vortrag werden Unsicherheiten bei pathologischen Biopsie- und Zytologie-Untersuchungen beleuchtet, was in ähnlicher Weise auf viele andere Arten diagnostischer Tätigkeiten übertragen werden kann.
QUELLEN VON UNSICHERHEITEN
Typ 1-Unsicherheiten: Vorhersehbare, vorgangstypische Unsicherheiten
Hierunter fallen Unsicherheiten, die in der Methode begründet und bei Fachperso¬nal allgemein bekannt sind. Sie sind prinzipiell voraussehbar und sollten daher bei der Auswahl der eingesetzten Methode berücksichtigt werden. In der Biopsie-Pathologie und Zytologie zählen etwa unvermeidbare Zufälligkeiten bei der Pro¬bennahme und die dadurch eingeschränkte Repräsentativität der Proben dazu, etwa wenn ein nur wenige Mikrometer dünner Gewebeschnitt eines sehr viel größeren Tumors beurteilt wird. Sowohl bei der Probennahme als auch bei der Durchführung des Untersuchungsverfahrens können solche Unsicherheiten nur begrenzt beeinflusst werden.
Typ 2-Unsicherheiten: Fallspezifische, erkennbare Unsicherheiten
Falltypische oder fallspezifische Unsicherheiten können aus ungenügenden diag-nostisch relevanten Informationen aus der Probe bzw. aus den dem Gutachten zugrundeliegenden Informationen resultieren. Ein typisches Beispiel wäre ein stark entdifferenzierter Tumor ohne erkennbare histogenetisch relevante Muster. Die untersuchende Person erkennt diese Unsicherheit und formuliert ein vages Urteil. Im Untersuchungsbericht werden non liquet-Aussagen eingesetzt oder eine intui¬tive, subjektive und grobe Einschätzung einer Wahrscheinlichkeit. Darin kommen die Kompetenz und die Einzigartigkeit der untersuchenden Person zum Ausdruck. Die Konsequenz solcher Unsicherheiten kann in der Empfehlung für weiterge¬hende Untersuchungen bzw. Informationsbeschaffungen bei Gerichtsverfahren liegen
Typ 3-Unsicherheiten: Nicht erwartete und nicht erkennbare Unsicherheiten
Weitere Unsicherheiten können durch Verzerrungen (engl. bias) und Rauschen (engl. noise) entstehen. Diese sind in der Regel weder der auftraggebenden noch der untersuchenden Person bekannt. Sie können das Untersuchungsergebnis sys¬tematisch und gerichtet (bias) oder zufällig und ungerichtet (noise) verfälschen [2]. Beide bleiben oft unerkannt, können jedoch durch Maßnahmen in der allgemeinen Verfahrenshygiene reduziert werden.
KOMMUNIKATION VON UNSICHERHEITEN
In der Regel werden im Untersuchungsbericht und im Gerichtsgutachten lediglich Unsicherheiten des Typs 2 kommuniziert. Hierfür sind die Epikrise bzw. die kriti-sche Befunddiskussion der beste Ort. Dabei ist essenziell, dass die eingesetzten Begriffe von allen Parteien gleich verstanden werden, etwa «vereinbar mit», «Bild wie bei» oder «nicht auszuschließen». Neben der Mitteilung von möglichen Grün-den und dem Ausmaß der erkennbaren Unsicherheit sollten hier auch Maßnah-men vorgeschlagen werden, wie durch weitere Untersuchungen oder Einholungen von Beweisen bei Gericht die Sicherheit einer Einschätzung auf das gewünschte Maß erhöht werden kann. Bei pathologischen Biopsie-Untersuchungen könnten dazu Empfehlungen für immunhistochemische oder molekularbiologische Folge¬untersuchungen zählen oder das Nachbioptieren von größeren Gewebeproben. Entscheidend ist jedoch immer eine Berücksichtigung aller übrigen verfügbaren Daten und des klinischen Kontextes, um Fehlinterpretationen oder gar folgen¬schwere Fehlentscheidungen zu vermeiden.
REDUKTION DES RISIKOS FÜR UNSICHERHEITEN
Die mit Unsicherheiten verbundenen Risiken können unter anderem reduziert werden durch die systematische Kenntnis ihrer Formen und Ursachen, eine struk¬turierte Verfahrenshygiene, einen aktiv selbst hinterfragenden Arbeitsstil und die offene Kommunikation offensichtlicher Unwägbarkeiten.