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Die Therapie kann in 3 Phasen unterteilt werden: 1) Stabilisierung und Herbeiführen einer Remission; 2) Erhaltungstherapie; 3) Management von Rezidiven.
Ziel des 2. Teils des ACVIM Consensus Statements ist es, einen Konsens im Hinblick auf die Therapie der ITP basierend auf der aktuellen Literatur zu erarbeiten. Eine Gruppe von Spezialisten sichtete über 500 Literaturstellen. Es wurden 20 sog. PICO (Patient - Intervention - Compare/Control - Outcome)-Fragen und 19 NON-PICO Fragen erstellt. Die Antworten wurden einem Delphi-Prozeß unterzogen, um einen Konsensus in Bezug auf die finalen Empfehlungen bzw. Ergebnisse zu erzielen. Schliesslich wurden Algorithmen a) zur Therapie und b) zur Definition von (teilweiser) Remission und Vorgehen bei Rezidiven erarbeitet, in welche die Ergebnisse der Literaturauswertung einflossen.
Im Algorithmus „Therapie" wird folgendes Vorgehen für den Hund beschrieben (basierend auf den Ergebnissen der PICO- und Non-PICO Fragen):
Nach der Diagnosestellung bzw. noch während der Abklärung muss mit der Therapie begonnen werden. Meist sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Komorbiditäten ausgeschlossen. Die nicht überlebenswichtigen Medikamente sollten abgesetzt und die überlebenswichtigen durch andere Stoffgruppen ersetzt werden wenn möglich. In einigen Fällen muss auch bei sekundärer ITP kurzzeitig immunsuppressiv behandelt werden.
Bei starker Blutung und einem hohen sog. DOGIBAT (Daily Canine Bleeding Assessment Tool) Score ist eine Transfusion (frisches Vollblut, Plättchenreiches Plasma) zur Zufuhr von Thrombozyten (Tc) und je nach Schwere der Anämie Erythrozyten (idealerweise Transfusion von frischem Vollblut) indiziert.
Zusätzlich werden Antifibrinolytika (z.B. Tranexamsäure) empfohlen und die sofortige Gabe eines Glukokortikoids (evtl. initial kurzwirkendes Prednisolon 10 mg/kg iv / Dexamethason; gefolgt von Prednisolon; Hund: oral 2 mg/kg/Tag, weniger bei Hunden > 25 kg, 50 mg/m/Tag; Katze: evtl. initial kurzzeitig 3-4 mg/ kg/Tag). Weiterhin sind (Käfig-)Ruhe, eine weiche Unterlage, kein Trockenfutter, keine subkutanen und intramuskulären Injektionen, möglichst schonende Blutabnahmen und keine invasiven Maßnahmen wie z.B. Punktion von Organen angezeigt. Infusionen kristalloider Lösungen werden bei Hypovolämie und Blutungen gegeben. Unter Umständen muss der Hämatokrit mehrmals täglich kontrolliert werden. Omeprazol und/oder Sucralfat werden zur Vorbeugung von gastrointestinalen Blutungen verabreicht. Letztere Maßnahme ist zu diskutieren, empfohlen wird sie, wenn Meläna vorliegt oder vermutet wird.
Als rasch wirkende „Notfalltherapie" kann zusätzlich einmalig Vincristin (0,02 mg/kg iv, maximale Dosis 0,5 mg/m? bei grossen Rassen) oder auch Humane Immunglobuline (0,5-1 g/kg über mind. 6-8 Std. iv) gegeben werden. Beide Medikamente verkürzen die Zeit bis zum Anstieg der Tc. Vincristin sollte mit grosser Vorsicht bei Hunderassen mit hoher Inzidenz des MDR1 (ABCB1)-Defektes eingesetzt werden. Eine Kombination von Vincristin und Ciclosporin ist zu vermeiden, bzw. sollten mehrere Tage zwischen der Gabe liegen. Bei Katzen wird Vincristin nicht empfohlen, humane Immunglobuline können eingesetzt werden. Liegen keine schweren Blutungen/ keine gastrointestinalen Blutungen (normaler Serumharnstoff) vor, kann ein Therapieversuch nur mit Prednisolon gestartet werden. Ist kein Ansprechen auf die Therapie nach spätestens 5-7 Tagen festzustellen, so sind die Diagnose und die Dosierungen der Medikamente zu überdenken und zu hinterfragen, ob das Medikament korrekt appliziert wurde.
Folgende Begriffe wurden definiert: kein Ansprechen auf Therapie (Tc < 30.000/ul / Blutungen); partielles Ansprechen (Tc > 30.000/ul bis < 100.000/ul; zweifacher Anstieg der Tc-Zahlen; keine Blutungen); vollständiges Ansprechen (Tc > 100.000/ ul, keine Blutungen). Als Therapieziel wird eine Tc-Zahl von ≥ 100.000/ul und keine Blutungsanzeichen angestrebt. Als vollständige Remission wird bezeichnet, wenn die Tc-Zahl > 100.000/ul liegt, keine Blutungsanzeichen vorliegen und die Immunsuppressiva abgesetzt sind.
Bei ungenügendem Therapieerfolg kann, wenn nicht bereits verabreicht, Vincristin (nur beim Hund) (evtl. humane Immunglobuline Hund/Katze) versucht werden. Ein 2. Immunsuppressivum wird bei Hund und Katze empfohlen wenn:
a) kein Ansprechen auf Therapie innerhalb von 5-7 Tagen erfolgt, b) bereits vorliegende oder zu erwartende (schwere bzw. für den Besitzer nicht tolerierbare) Nebenwirkungen der Glukokortikoide (insbes. bei grossen Hunderassen) / wenn Erkrankungen (Diabetes mellitus, Hyperadrenokortizismus, Inkontinenz, Harnwegsinfekte, schwere Herzerkrankungen, frühere Thromboembolien) ein rasches Ausschleichen bedingt, c) Rezidiv bei Senken der Glukokortikoiddosis auftritt. Ein sofortiger Einsatz (innerhalb der ersten 3 Tage) wird empfohlen bei schweren Blutungen (und Notwendigkeit von Transfusionen), da die meisten Immunsuppressiva erst verzögert wirken. Mögliche Immunsuppressiva sind (alphabetische Reihenfolge) beim Hund Azathioprin, Ciclosporin, Leflunomid und Mycophenolatmofetil und bei der Katze Chlorambucil und Ciclosporin.
Weitere Therapiemöglichkeiten sind Romiplostim oder ein Therapeutischer Plasmaaustausch wenn verfügbar und als letzte Option eine Splenektomie.
Unklar ist, ob Melatonin einen Nutzen als unterstützende Maßnahme hat.
Algorithmus „Vorgehen bei (teilweisem) Ansprechen auf Therapie / bei Rezidiven" Bei vollständigem Therapieerfolg wird der Patient nach Entlassung zunächst alle 1-2 Wochen, nach 1 Monat in etwas grössen Abständen (alle 2-4 Wochen) kontrolliert (klinische Untersuchung, Hämatologie, klinische Chemie, Urinanalyse, evtl. -mikrobiologie) und die Dosis des Glukokortikoids (und evtl. des
2. Immunsuppressivums) alle 2-3 Wochen gesenkt. Es wird empfohlen, aufgrund der Nebenwirkungen zunächst die Glukokortikoiddosis zu senken und frühestens nach mehreren (6) Monaten abzusetzen. Bei unvollständigem Ansprechen auf die Therapie oder Verdacht auf Rezidiv wird die Diagnose überdacht bzw. nochmals bestätigt und es wird erneut nach Triggern gesucht. Unter Umständen muss eine neue Abklärung wie bereits initial erfolgt durchgeführt werden.
Liegen keine Trigger vor, wird ein 2./ ein anderes Immunsuppressivum gegeben.
Die Glukokortikoiddosis wird ggf. wieder erhöht. Die Medikamentendosierungen und die Besitzercompliance werden überprüft. Führen auch diese Maßnahmen nicht zum Erfolg, werden humane Immunglobuline, Romiplostim oder eine Splenektomie erwogen. Bei (mehrfachen) Rezidiven sollten die Immunsuppressiva langsamer ausgeschlichen werden oder evtl. lebenslang gegeben werden.
Prognose
Die Rezidivrate beträgt je nach Studie 9-47%, wobei als mögliche Gründe zu rasches Ausschleichen der Immunsuppressiva, Auftreten einer neuen Komorbidität (Trigger) oder das Aufflammen einer Komorbidität, die zuvor nicht entdeckt wurde, genannt werden. Nach Absetzen aller Medikamente wird empfohlen, mind. 3 Monate lang eine monatliche Kontrolle durchzuführen und danach in grösseren Abständen. Vor jedem Eingriff bzw. Impfung sollte ein Blutbild gemacht werden.
Die Letalitätsrate innerhalb der ersten 14 Tage lag in unserer Klinik bei < 5 %. Bei der sekundären IMT ist die Prognose abhängig von der Grundursache.