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Einleitung:
Die Beziehung zwischen Medizinern und Heilsuchenden ist eine der komplexesten zwischenmenschlichen Beziehungen überhaupt. In ihr treten sich – in der Regel mehr oder weniger unfreiwillig – einander fremde Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen unter asymmetrischen Machtverhältnissen in häufig emotionalen Grenzsituationen gegenüber und werden dabei zu einer engen Zusammenarbeit gezwungen. Diese Erkenntnis lässt sich vor dem Hintergrund der wachsenden emotional en Bindung zwischen Menschen und Haustieren in den westlichen Nationen auf die tierärztliche Versorgung übertragen. Daher war es das Ziel der Arbeit, die im tiermedizinischen Praxisalltag vorherrschende Art der Kommunikation zwischen Tierärzten und Tierbes itzern sowie die präferierten Entscheidungsfindungsmodelle zu beschreiben. Der wahrgenommene Grad der Partizipation im Entscheidungsfindungsprozess wurde sowohl aus Sicht der Tierärzte als auch der Patientenbesitzer erfasst, um eine vergleichende Auswertung zu ermöglichen.
Material und Methoden:
In den Jahren 2016/2017 wurden nacheinander jeweils eine Umfrage unter Tierbesitzern und Tierärzten durchgeführt. Teilweise analog gestellte Fragen in der Tierärzte- bzw. Patientenbesitzerbefragung ermöglichten eine vergleichende Auswertung der Ergebnisse. Die Fragebögen wurden jeweils in einem zweistufigen Pretestverfahren (kognitiver Pretest + quantitativer Pretest) auf Stimmigkeit, Verständlichkeit und Logik überprüft. Die Daten wurden mithilfe von Strukturgleichungsmodellen sowie mehrfaktoriellen Regressionsanalysen mit der Software SAS Version 9.4 ausgewertet.
Ergebnisse und Ausblick:
Die meisten der 1270 teilnehmenden Tierhalter (74,2 %) bevorzugten das Modell der partizipativen Entscheidungsfindung (PEF). Partnerschaftlich ausgerichtete Kommunikation und die Anwendung von PEF konnten das Bedürfnis nach weiteren Informationen (z.B. aus dem Internet) und nach alternativen Heilmethoden (z.B. Homöopathie) reduzieren. Positiven Einfluss hat es, wenn Tierärzte nach den Sorgen und Ängsten der Tierbesitzer fragen, die Vor- und Nachteile von diagnostischen und therapeutischen Optionen erklärten und genügende Informationen zur Verfügung stellten.
Auch unter den Tierärzten befürwortete der größte Teil der 585 Teilnehmer (83,6 %) das Prinzip der PEF. Beinahe alle Tierärzte berichteten, dass der Anteil selbstinformierter Tierhalter in den letzten Jahren gestiegen sei. Die Einstellung zu dieser Entwicklung variierte unter den Teilnehmern. Als positiv wurde bewertet, dass die Teilnahmebereitschaft selbstinformierter Patientenbesitzer bezüglich der veterinärmedizinischen Versorgung und Folgeuntersuchungen besser ist. Die meisten Bedenken wurden hinsichtlich der Tierarzt-Tierhalter-Beziehung sowie höherer Ansprüche selbstinformierter Patientenbesitzer geäußert. Viele Teilnehmer sorgten sich außerdem, dass ungefilterte Vorinformationen Tierbesitzer verunsichern könnten und gaben an, Selbstinformation deshalb nicht zu empfehlen. Im Strukturgleichungsmodell konnte bestätigt werden, dass eine positive Einstellung gegenüber PEF, empathisches Verhalten und die Beurteilung von Selbstinformation miteinander assoziiert waren. Daraus kann geschlossen werden, dass Tierärzte trotz der potenziellen Vorteile der Einbindung des Internets als zusätzlicher Informationsquelle skeptisch gegenüberstehen. Hier besteht Aufklärungs- und Schulungsbedarf für praktizierende Tierärzte.