Königsweg 65
14163 Berlin
+49 30 838 62261
klauentierklinik@vetmed.fu-berlin.de
Im Ergebnis der Untersuchung zur Verbindung zwischen dem Heiligen Antonius d.Gr. und dem Schwein bestätigte sich, dass diese nicht auf die historische Ursprungsfigur aus dem 4. Jh. n.Chr. zurückgeht, sondern ausschließlich auf das Wirken des größten Hospizordens des Mittelalters, des Antoniterordens. Das Leben der historischen Ursprungsfigur Antonius ist mit der „Vita Antonii“ des Athanasius von Alexandria ausführlich überliefert worden. In die Lebensbeschreibung des altägyptischen Einsiedlers Antonius sind wichtige Punkte der kirchenpolitischen und theologischen Auseinandersetzungen ihrer Abfassungszeit mit eingeflossen. In diesen Kontext muss auch eine überlieferte Lehrrede des Antonius eingeordnet werden, in der durch das Zitieren der neutestamentlichen Geschichte von der Heilung des Besessenen auf das Verständnis des Schweines als unreines Tier hingewiesen wird. Haustiere, insbesondere das Schwein, werden in der „Vita Antonii“ ansonsten an keiner Stelle thematisiert und können deshalb mit dem historischen Antonius nicht in Verbindung gebracht werden. Der Hinweis auf das Schwein im Zusammenhang mit dämonischen Mächten verweist jedoch im allgemeinen auf das jüdische und frühchristliche Verständnis des Schweines als unreines Tier. Dieses existierte im Orient und späterhin im gesamten Mittelmeerraum –oftmals neben dem traditionell bestehenden wertschätzenden Verständnis dieses seit langem domestizierten Tieres durch die jeweils angestammten Bevölkerungsgruppen. Bis ins Mittelalter hat sich die abschätzige Wertung des Schweines als unreines Tier teilweise halten können, obwohl es in vielen Teilen Europas zum wichtigsten Fleischlieferanten für die Ernährung der Bevölkerung geworden war. Die Verbindung des Heiligen Antonius d.Gr. mit dem Schwein ist zeitlich erst im Mittelalter anzusiedeln. Der Antoniterorden, der im Jahr 1247 in Frankreich aus einer caritativ tätigen Laienbruderschaft heraus entstand und sich zum größten und mächtigsten Hospizorden des Mittelalters entwickelte, berief sich auf den hl. Antonius als Ordenspatron. Der Antoniterorden widmete sich der Pflege und Therapie von mit Mutterkorn vergifteten Menschen bzw. der Betreuung der Genesenen, die oftmals als Krüppel weiterleben mussten. Im Rahmen ihrer Tätigkeit spezialisierten sich die Antoniter auf die Diagnostik und Therapie insbesondere der gangränösen Form dieser Intoxikation. Sie machten sich um das mittelalterliche Hospizwesen, um die Entwicklung spezieller therapeutischer Ansätze sowie um die Verbreitung speziellen medizinischen Fachwissens ihrer Zeit verdient. Zur Absicherung der benötigten materiellen Grundlage für seine Arbeit etablierte der Orden ein durchorganisiertes Sammelwesen, den „Quest“. Es wurde üblich, dass die -überwiegend in agrarischen Strukturen lebende- Bevölkerung entweder kollektiv aufgezogene Schlachtschweine oder aber Ferkel zum weiteren Aufmästen als Naturalgabe spendete. Schweine eigneten sich aufgrund ihrer Frohwüchsigkeit sowie ihrer unkomplizierten Aufzucht und Mast (Waldweidemast; Speiseabfälle) besonders für eine effektive Lebensmittelproduktion. Die Antoniter entwickelten sich in diesem Zusammenhang zu Spezialisten in Schweinehaltung und –zucht. Von Vorteil für die Haltung von Schweinen durch einen Hospizorden war dabei, dass die Schweine (die in Phänotyp und Habitus dem Wildschwein noch sehr ähnlich waren) relativ resistent gegen ansteckende Krankheiten, d.h. auch gegen eine Ansteckungen mit Zoonosen waren. Der Orden und die Schweine wurden im Bewusstsein der mittelalterlichen Bevölkerung so sehr in einen Zusammenhang gebracht, dass auch dem Ordenspatron in ikonografischen und künstlerischen Darstellungen das Schwein als Attribut zugeordnet wurde. Nicht nur im Zusammenhang mit ihren Kompetenzen hinsichtlich der Schweinehaltung und – zucht genossen die Antoniter ein hohes Ansehen in der Bevölkerung. Auch ihre Hingabe an die Krankenpflege sowie ihre Therapieerfolge im Kampf gegen das „Heilige Feuer“ machten sie im Volk sehr beliebt und populär. Die hohe Popularität des Ordens übertrug sich auch auf den Ordenspatron, dem selbst sowohl strafende als auch wunderheilende Tätigkeit zugetraut wurde. Die Mutterkornvergiftung wurde deshalb auch „Antoniusfeuer“ genannt. Entsprechend der großen Popularität des Antoniterordens gelangte auch der hl. Antonius im Mittelalter zu einer neuen –ganz volkstümlichen- Beliebtheit. Er wurde zum Schutzpatron gegen das „Heilige Feuer“ sowie für die Haustiere (v.a. für das Schwein) und die Landleute. Diese Entwicklung ist nur aus dem Kontext der Tätigkeit der Antoniter heraus zu verstehen. Die Verehrung der Ordensbrüder war auf den Ordenspatron übergegangen und vermischte sich mit der traditionell schon seit langem bestehenden Verehrung als Mönchsvater. Die tiefe Verwurzelung der Antoniusverehrung in der europäischen Bevölkerung drückt sich in der Überlieferung vieler, z.T. heute noch gebräuchlicher, Sitten, Bräuche, Redensarten und Wetterregeln aus, die sich auf ihn beziehen. Das Schutzpatronat des Heiligen Antonius d.Gr. über das Schwein war ürsprünglich –im Gegensatz zu dem Schutzpatronat des Heiligen Franziskus von Assisi- als ein Schutzpatronat über die Menschen zu verstehen, deren Existenz vom Schwein abhängig war und ist. Die Mutterkornvergiftung spielte im Mittelalter eine große Rolle, aufgrund ihrer vielfältigen Symptomatik war sie oft nicht eindeutig diagnostizierbar. An vielen Krankheitsgeschehen und Seuchenzügen –sowohl Menschen als auch Tiere betreffend- war sie mit beteiligt. Der Zusammenhang zwischen dem veränderten Nahrungsgetreide (vornehmlich dem Roggen) und der Krankheit war im Mittelalter bereits bekannt. Dass es sich beim Mutterkorn um eine Pilzerkrankung handelt, blieb aber bis 1711 unentdeckt. Damit ordneten sich Erkenntnis und Therapie des Ergotismus im Mittelalter in den allgemeinen Stand der Medizin („Empirie“) ein. Während sich der Ergotismus beim Menschen noch in seinen relativ deutlich unterscheidbaren Hauptformen –der gangränösen und der convulsiven Form- beschreiben lässt, weiß man aus neueren Forschungen (20./21. Jh.), dass die Ausprägungen der Vergiftung bei Tieren noch vielfältiger und unspezifischer sind. Auch heute noch gestaltet sich die Diagnostik des Ergotismus schwierig. Entsprechend gilt für die Tierseuchen im Mittelalter, dass die Mutterkornvergiftung sehr oft als Differentialdiagnose oder zumindest als beteiligte Erkrankung mit angenommen werden muss. Die Ausprägungen des Ergotismus beim Tier hängen von der absolut aufgenommenen Menge an Mutterkorn, von der Art der aufgenommenen Futterpflanzen, vom Alkaloidmuster der Sklerotien und v.a. auch von der Verdauungsphysiologie der jeweiligen Tierspezies ab. Deshalb gibt es keine verlässlichen Angaben zu toxischen Minimaldosen, Grenzwerten o.ä. für die Mutterkornaufnahme durch Tiere. Auch beim Schwein kann die Mutterkornaufnahme zu verschiedensten Symptomkomplexen führen, so dass die Intoxikation auch für diese Tierart als mögliche Deutung geschichtlich überlieferter Krankheiten/ Seuchen in Betracht gezogen werden kann. So käme sie auch als Erklärung für mögliche Fehldiagnosen im Hinblick auf den Milzbrand in Frage, denn das Schwein gilt –aus heutiger Kenntnis heraus- als relativ unempfindlich gegenüber einer Infektion mit dem Milzbranderreger. I.d.R. kommen beim Schwein nur die pharyngeale Form und die Darmform des Milzbrandes vor. Wenn die Antoniter aufgrund ihrer speziellen Kenntnisse bezüglich des Schweines schon wussten, dass die Gefahr einer Übertragung der Zoonose Milzbrand vom Schwein auf den Menschen relativ gering ist, könnte dies ein weiterer wichtiger Grund gewesen sein, sich (fast) ausschließlich auf das Schwein als Haustier, Fleisch- und Fettlieferanten (Salbengrundlagen) zu konzentrieren. Während der Ergotismus in Mitteleuropa lange Zeit keine wichtige Rolle mehr spielte, was sich in wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Lehrbüchern der jüngeren Geschichte niederschlägt, nimmt er heute wieder an Bedeutung zu. Die Beschäftigung mit seinen Ausprägungen bei Mensch und Tier erscheint deshalb wieder vermehrt geboten.