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In Deutschland stellt das Schwein das am häufigsten in der biomedizinischen Forschung verwendete Großtiermodell dar. Minipigs sind dabei aufgrund ihres einfachen Handlings, ihrer geringen Wachstumsrate und insbesondere wegen ihrer humanäquivalenten kardiovaskulären Eigenschaften zu einem wichtigen Tiermodell in der Herzkreislaufforschung geworden. Trotz der zunehmenden Verbreitung des Tiermodells Minipig sind derzeit insbesondere für die in Europa am häufigsten eingesetzte Zuchtlinie „Göttingen Minipig®“ keine systema-tischen Daten zum Blutgefäßsystem verfügbar. Ziel der vorliegenden Arbeit war es daher, in einem grundlagenorientierten makro- und mikromorphometrischen Ansatz die wichtigsten arteriellen und venösen Blutgefäße dieses Tiermodells als Beitrag für ein Versuchsrefinement gemäß den 3 R-Prinzipien nach Russel und Burch (1959) zu charakterisieren. Die Untersuchung der vaskulären Strukturen bei diesem Tiermodell erfolgte anhand von kontrastmittelgestützten (iodhaltig, nicht ionisch) computertomographischen Ganzkörperaufnahmen (64-Zeilen-Spiral- Scanner) an insgesamt 18 Göttinger Miniatursauen unter Allgemeinanästhesie im Alter von 12, 17 und 21 Monaten. Um den Einfluss einer unterschiedlichen Lagepositionierung der Tiere auf die Blutgefäße beurteilen zu können, wurden die Tiere sowohl in der Bauch- als auch in der Rückenlage computertomographisch erfasst. Mithilfe entsprechender Software wurden der Innendurchmesser und die Länge der wichtigsten, klinisch relevanten Arterien und Venen des Hals-, Körperstamm- und proximalen Gliedmaßenbereichs untersucht. Es wurden zur Validierung der CT-Untersuchungen 3 Tiere einer topographischen Präparation zugeführt und dafür einer Salzfixierung unterzogen. Es erfolgten zusätzlich exemplarisch histologische Untersuchungen ausgewählter Blutgefäße mit Vermessung der einzelnen Wandschichten. Die Auswertung des Blutgefäßsystems im Zeitverlauf hatte ergeben, dass zwischen dem 12. und 17. Lebensmonat vorrangig herznahe Arterien und Venen sowie die V. portae eine um 19 % signifikante (p<0,05) Zunahme des Innendurchmessers aufwiesen. Der Arcus aortae zeigte zudem eine signifikante Längenzunahme um 25 % innerhalb dieses Zeitraumes. Eine besondere Entwicklung wies die V. jugularis externa auf, bei welcher vom 12. zum 17. Lebensmonat eine signifikante Verjüngung des Innendurchmessers von 10,8±0,3 mm auf 9,1±0,4 mm festgestellt werden konnte. Zwischen dem 17. und 21. Lebensmonat dahingegen wiesen alle untersuchten Blutgefäße keine signifikanten Unterschiede auf und hatten somit in ihrer Länge und in ihrem Innendurchmesser einen ausgereiften und stabilen Zustand erreicht, obwohl die Tiere in diesem Zeitraum um 23 % an Körpermasse zunahmen. In der Gegenüberstellung der Bauch- und Rückenlage konnte eine um 22 % signifikante Verjüngung der Innendurchmesser der venösen Halsblutgefäße (Vv. jugulares externa und interna, V. cephalica, Vv. subclaviae, V. brachiocephalica) nachgewiesen werden. Die V. jugularis externa zeigte zudem eine signifikante Längenzunahme um 10 % von der Bauch- zur Rückenlage. Die Streckung des Halses und die auf die Blutgefäße einwirkenden Gewebemassen in der Rückenlage bewirkten demnach einerseits eine Streckung und damit Verjüngung des Blutgefäßinnendurchmessers der längs verlaufenden Halsvenen und andererseits eine Kompression und Verjüngung der mehr quer verlaufenden Halsvenen. Während der Untersuchungen fielen verschiedene Blutgefäßvarianten auf, die in ihrer Morphologie von der üblichen anatomischen Norm abwichen. Es stellte sich heraus, dass die beim Schwein normalerweise doppelt angelegte V. subclavia in dreifacher unilateraler (links: 11,1 %, n=2; rechts: 5,6 %, n=1) und bilateraler (5,6 %, n=1) als auch in vierfacher bilateraler (5,6 %, n=1) Erscheinung auftreten kann. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um kleinere üblicherweise weiter distal entspringende Äste handelt, deren Abgang sich nach proximal verschob, sodass diese Äste direkt der V. brachiocephalica zuflossen. Eine doppelt angelegte V. renalis dextra konnte in 5,6 % (n=1) der Fälle dargestellt werden. Die Aa. renales dextra und sinistra nahmen zueinander unterschiedliche Konformationen ein. In 55,6 % (n=10) der Fälle entsprang die A. renalis dextra kranial der A. renalis sinistra aus der Aorta, was den Verhältnissen beim Menschen entspricht. In 33,3 % (n=6) der Fälle entsprang die A. renalis dextra kaudal der A. renalis sinistra aus der Aorta und nur in 11,1 % (n=2) der Fälle entsprangen beide Blutgefäße auf der gleichen Höhe aus der Aorta. Auch der Verlauf der A. renalis dextra zum Nierenhilus variierte. In den meisten Fällen verlief die A. renalis dextra dorsal an der V. cava caudalis (77,8 %, n=14), zum Teil aber auch ventral an der V. cava caudalis entlang (22,2 %, n=4). Des Weiteren wurden in dieser Studie venöse Inselbildungen (Fenestrationen) im Bereich der V. cava caudalis (27,8 %, n=5), der V. iliaca communis sinistra (11,1 %, n=2) und der V. linguofacialis sinistra (5,6 %, n=1) gefunden. Derartige Inselbildungen sind als Hemmungsmissbildung im Sinne einer ausgebliebenen Rückbildung embryonaler Anastomosenketten aufzufassen. Die anatomisch- morphometrische Charakterisierung des Blutgefäßsystems beim Göttingen Minipig® wurde hiermit erstmals systematisch durchgeführt. Nach den Prinzipien von Russel und Burch ist für den Einsatz des Göttingen Minipigs® in der biomedizinischen Forschung eine detaillierte Kenntnis der Blutgefäßcharakteristika erforderlich. Insbesondere die in Einzelfällen auftretenden Blutgefäßvarianten können eine Herausforderung bei der Durchführung verschiedener interventioneller oder operativer Eingriffe darstellen. Zudem sind der Reifezustand sowie der Innendurchmesser und die Länge eines Blutgefäßes beispielsweise zur Implantation von Prothesen und der Einfluss einer unterschiedlichen Positionierung des Tieres essentielle Informationen, um in der Tierversuchs-planung der Forderung nach einem Refinement gerecht zu werden.