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Fachbereich Veterinärmedizin


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    Evaluierung der Herzfrequenzvariabilitätsmessung zur perioperativen Schmerzkontrolle bei Schweinen im Kastrationsmodell (2021)

    Art
    Hochschulschrift
    Autor
    Radeisen, Marlene Franziska (WE 18)
    Quelle
    Berlin: Mensch und Buch Verlag Berlin, 2021 — XX, 98 Seiten
    ISBN: 978-3-96729-093-6
    Verweise
    URL (Volltext): https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/29707
    Kontakt
    Nutztierklinik

    Königsweg 65
    14163 Berlin
    +49 30 838 62261
    klauentierklinik@vetmed.fu-berlin.de

    Abstract / Zusammenfassung

    Die Messung der Herzfrequenzvariabilität (HRV) stellt eine nicht-invasive Technik dar, mit der die Funktionsweise des autonomen Nervensystems am Herzen sichtbar gemacht werden kann (von Borell et al. 2007). Die HRV-Analyse kommt neben vielerlei anderer klinischen Anwendungen in Human- und Veterinärmedizin auch im Bereich der Schmerzforschung und Anästhesiologie zum Einsatz. So verändert sich der das sympathovagale Gleichgewicht beschreibende Parameter LF/HF bei Schweinen nach Schwanzbeißen (Zupan et al. 2012). Ebenso wirken sich chirurgische Manipulationen unter Allgemeinanästhesie auf frequenzbezogene HRV-Parameter bei Schweinen aus (Martin Cancho et al. 2006). Die HRV-Messung bei Schweinen erfolgte bisher neben invasiven Messmethoden auch mittels nicht-invasiven telemetrischen Messmethoden, um auch Messungen am nicht-fixierten Schwein vorzunehmen. Telemetrische Messmethoden sind bei Schweinen einerseits mittels telemetrischen EKG-Geräten (Suzuki et al. 1998, Kuwahara et al. 1999, Kuwahara et al. 2004, Olmstead et al. 2005) oder mittels primär für den Menschen konzipierten Brustgurtsystemen möglich (Marchant-Forde and Marchant-Forde 2004, Marchant-Forde et al. 2004, Düpjan et al. 2011, Zupan et al. 2012, Mahnhardt et al. 2014, Leliveld et al. 2016). Der in der Studie verwendete Brustgurt BioHarnessTM 3 (Zephyr Technology, Medtronic, Annapolis, USA; im Folgenden: BioHarness-Brustgurt) wurde bisher am Schwein noch nicht eingesetzt. Ziele der Studie waren, den BioHarness-Brustgurt auf seine Messgenauigkeit mit einem etablierten, telemetrischen EKG-Gerät (Televet® 100, Engel Engineering GmbH, Heusenstamm, Deutschland; im Folgenden: Televet 100) zu evaluieren und nach Feststellung der Eignung des BioHarness-Brustgurts zu untersuchen, ob die HRV-Analyse ein valides Analgesiemonitoring im Kastrationsmodell ermöglicht. Dafür wurden die HRV-Parameter bei intraoperativen, schmerzspezifischen Abwehrreaktionen anhand eines Scorings mit prä- und postoperativen Ruhewerten verglichen. Für die Evaluierung des BioHarness-Brustgurts in der Voruntersuchung wurde bei fünf männlichen Aufzuchtschweinen (Deutsche Landrasse/Deutsches Edelschwein x Piétrain/Duroc; 28 – 58 kg) unter Betäubung zeitgleich Messungen mit dem BioHarness-Brustgurt und dem Televet 100 durchgeführt. Für die HRV-Analyse mit dem BioHarness-Brustgurt der Hauptuntersuchung wurden insgesamt 30 männliche Aufzuchtschweine (Rasse s. o., 36 – 48 kg) zum Zwecke der weiteren Mastnutzung und Schlachtverwertung kastriert. Die Schweine wurden in vorübergehender Einzelhaltung im Wachzustand einen Tag vor der geplanten Kastration mit dem BioHarness-Brustgurt in liegender Ruheposition gemessen. Die Kastration in der Regio pubis erfolgte unter der praxisüblichen Ketamin-Azaperon-Allgemeinanästhesie. Alle intraoperativen Schritte (Messungen à 3 Minuten) wurden mittels eines Schmerzscorings beurteilt, wobei Score 0 keinerlei Abwehrreaktion (chirurgische Toleranz), Score 1 und höher Vorhandensein und Intensität von Abwehrreaktionen beschreiben. 24 Stunden nach der Operation erfolgte nochmals wie am Tag vor der Operation eine HRV-Messung und eine Untersuchung auf klinisch manifeste postoperative Schmerzanzeichen. Ergebnisse der Evaluierung des BioHarness-Brustgurts in der Voruntersuchung waren eine vergleichbare Messgenauigkeit mit dem Televet 100-EKG-Gerät. Ergebnisse der HRV-Analyse mit dem BioHarness-Brustgurt in der Hauptuntersuchung waren, bezogen auf die intraoperativen Schritte bzw. Zeitpunkte, ein Anstieg des Parameters meanRR im Vergleich zum Ruhewert vor den Operationen bzw. ein Abfall der Parameter SDNN und RMSSD über alle intraoperativen Zeitpunkte Es kam zu einem Anstieg der für die sympathische Aktivität sprechende Parameter LF (n.u.) und LF/HF bei den Zeitpunkten Inzision in die Haut, Inzision in den Processus vaginalis sowie Zug am Samenstrang. Der hauptsächlich durch vagale Einflüsse dominierte Parameter HF (n.u.) fiel bei den Zeitpunkten Inzision in die Haut und Inzision in den Processus vaginalis ab. Bezogen auf das Schmerzscoring kam es zum signifikanten Anstieg von LF (n.u.) bei Score 1 bis 3 im Vergleich zur chirurgischen Toleranz (Score 0). Die Parameter HF (n.u.) und LF/HF verfehlten das Signifikanzniveau (p < 0,05) knapp. Postoperativ kam es nur bei zwei Tieren zu möglichen Schmerzsymptomen (Fieber, bzw. Wundirritation), weshalb hier keine Aussage getroffen werden konnte. Die Schweine tolerierten den Brustgurt allgemein sehr gut, es gab keinen Einfluss auf das arttypische Fress-, Liege- und Aktivitätsverhalten. Erkennbar ist in dieser Studie ein mit schmerzspezifischen Abwehrreaktionen positiv korrelierender LF-Wert, welcher auch in der Literatur einerseits bei intraoperativen Schmerzstimuli, aber auch mit anderen schmerzhaften Zuständen beim Schwein beschrieben wird (s. o.). Sowohl die somatische (hier Inzision in die Haut) als auch die viszerale Schmerzkomponente (hier Inzision in den Processus vaginalis und Zug am Samenstrang) führen zu einer Beeinflussung der Parameter LF (n.u.), HF (n.u.) und LF/HF. In Bezug auf ein effektives, prädiktives Analgesiemanagement müsste in weiterführenden Studien an einer größeren Tierzahl bzw. Zahl an Messdaten ein Grenzwert für LF (n.u.) und ggf. weitere Parameter etabliert werden, welcher Schmerz bei nachlassender Anästhesie noch vor Auftreten einer Abwehrreaktion anzeigt. Ausblickend könnten mit dem BioHarness-Brustgurt auch Tierwohlbeeinträchtigungen bei Schweinen in anderen klinischen Fragestellungen untersucht oder auch bei zootechnischen Eingriffen überprüft werden.