Oertzenweg 19 b
14163 Berlin
+49 30 838 62422
kleintierklinik@vetmed.fu-berlin.de
EINLEITUNG Die Frühgeborenenretinopathie (Retinopathy of prematurity, ROP) ist eine von Vasoobliteration (Phase I) und anschließender Neovaskularisation (Phase II) geprägte Blutgefäßerkrankung der Netzhaut. Bis zu einem Fünftel aller Erblindungen und Sehschwächen bei Kindern in den Industrieländern werden von der ROP hervorgerufen. Mehr als zwei Drittel aller Frühgeborenen mit einem Geburtsgewicht von weniger als 1251 g entwickeln die ROP. Derzeitige Behandlungsmethoden (z.B. punktuelle Laserbestrahlung der ischämischen Netzhautbereiche, angiostatische Präparate) sind oft verbunden mit einem hohen Grad an Gewebeschädigung, dem Risiko von lokalen sowie systemischen Komplikationen und/ oder Rezidiven. Mit zunehmender Zahl überlebensfähiger Frühgeborener steigt auch das Bedürfnis an besseren und angemesseneren Therapiemöglichkeiten für die ROP. Die schwerwiegendste Komplikation der ROP stellt die Netzhautablösung und damit verbunden der Verlust des Sehvermögens als Folge der pathologischen Neovaskularisation dar. Eine Reihe von Forschungsansätzen postuliert, dass das Komplementsystem zusammen mit Immunzellen die Schlüsselkomponenten bei der Ausbildung der retinalen Neovaskularisation darstellen. Demzufolge verkörpern sie ideale Ansatzpunkte bei der Entwicklung neuer therapeutischer Strategien. Ziel der vorliegenden Studie war es, die Korrelation zwischen dem Komplementsystem und der Entwicklung retinaler Neovaskularisationen unter Einbezug der Interaktion mit den (aktivierten) CD11b-positiven Zellen klarer definieren und daraus neue potentielle Therapieansätze identifizieren zu können. Die konkreten Ziele waren die Beantwortung folgender Fragestellungen: 1\. Kann die C5a-C5aR-Achse des Komplementsystems die Ausbildung der retinalen Vasoobliteration und Neovaskularisation der ROP beeinflussen? 2\. Korreliert das räumliche Verteilungsmuster der retinalen CD11b-positiven Zellen mit der Zone der retinalen Neovaskularisation (Tuft-Zone) unter der Hypothese, dass aktivierte CD11b-positive Zellen vor allem in der Tuft-Zone vorkommen? Ist dieses Verteilungsmuster von dem Komplementfaktor C5a beeinflussbar? 3\. Führt das Mausmodell der OIR per se zu einer erhöhten Komplementaktivität. Ist eine Beeinflussung der Komplementaktivität durch C5a möglich? METHODEN Das Mausmodell der Sauerstoff-induzierten Retinopathie (Oxygen-induced retinopathy, OIR) ist ein etabliertes Tiermodell, das die neovaskulären Charakteristika der humanen Frühgeborenenretinopathie zuverlässig imitiert. Die vorliegende Studie bedient sich diesem Tiermodell, um die Hypothesen zu untersuchen. Neonatalen OIR-Mäuse wurden vom postnatalen Tag (P)12 bis P16 täglich intraperitoneale Injektionen mit C5a, C5a-Inhibitor oder reiner Vehikelflüssigkeit (Kontrolle) verabreicht. Für die Untersuchung der Komplementaktivität wurden ergänzend reine OIR-Mäuse (ohne Injektionsbehandlung) und unter durchgehend normoxischen Bedingungen gehaltene Mäuse genutzt. Die Mäuse wurden an P14, P17 und P21 zur Probengewinnung geopfert. Immunhistochemie und retinale Flachpräparate dienten der Analyse: 1) des Ausmaßes der retinalen Vasoobliteration (avaskuläre Bereiche) und 2) der Neovaskularisation (Tufts), und 3) des quantitativen Verteilungsmusters der (aktivierten) CD11b-positiven Zellen bezüglich der avaskulären, Tuft- und physiologisch vaskularisierten Zonen. Darüber hinaus wurden retinale Genexpressionsanalysen verschiedener Komplementfaktoren mittels quantitativer PCR durchgeführt. ERGEBNISSE Die C5a-Supplementierung führte zu einem signifikant reduzierten Ausmaß der retinalen Vasoobliteration und Neovaskularisation im Vergleich zur Kontrollgruppe. In der avaskulären Zone waren gruppenübergreifend signifikant weniger CD11b-positive Zellen als in der vaskulären (P14 und P17) und als in der Tuft-Zone (P17). Unabhängig von der Behandlung war die Anzahl der aktivierten CD11b-positiven Zellen in der avaskulären (P14 und P17) und in der Tuft-Zone (P17 und P21) signifikant höher verglichen mit den physiologisch vaskularisierten Regionen. Die C5a- Supplementierung hat sowohl die Gesamtzellzahl (P17 und P21) als auch die Zahl der aktivierten Zellen (P14 und P17) in den pathologisch vaskularisierten Zonen (avaskuläre und Tuft-Zone) im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant reduziert. Die Komplementaktivität war im Rahmen der OIR erhöht und konnte nicht durch C5a-Supplementierung beeinflusst werden. Die C5a-Inhibierung hatte keinen Einfluss auf die retinale Vasoobliteration oder Neovaskularisation; das räumliche Verteilungsmuster der (aktivierten) CD11b-positiven Zellen konnte zu wenigen Zeitpunkten beeinflusst werden, wobei die Effekte mit denen der C5a- Supplementierung vergleichbar waren. Die C5a-Injektionen führten zu einer schnelleren Revaskularisation der avaskulären Zone und schnelleren Regression der retinalen Tufts in Korrelation mit einer Reduktion CD11b-positiver Zellen. Die bereits bekannten pro- und anti-angiogenen Effekte des Komplements unterstützten die Ergebnisse der vorliegenden Studie. Die „Zielort-fern“ gesetzten intraperitonealen Injektionen können einen starken Entzündungsreiz im Peritoneum hervorgerufen haben, der eine stärkere Aktivierung des Komplementsystems sowie einen stärkeren Rekrutierungsreiz für die CD11b- positiven Zellen verursacht haben könnte als die gleichen lokal durch die OIR im Auge ausgelösten Stimuli. Die angewandte Methodik könnte demnach zur reduzierten Zellzahl und Komplementaktivität in der Netzhaut beigetragen haben. Das vermehrte Vorkommen der (aktivierten) CD11b-positiven Zellen in den pathologisch vaskularisierten Zonen spricht für eine Beteiligung dieser Zellen an der retinalen Blutgefäßbildung. Die wenigen beobachteten Effekte der C5a- Inhibierung könnten in einer verringerten Zellrekrutierung an den Injektionsort ausgelöst durch eingeschränkte C5a-bedingte Immunzellrekrutierung und/ oder einer methodischen Schwäche der Studie begründet sein. SCHLUSSFOLGERUNG Die Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass das aktivierte Komplementsystem und insbesondere die C5a-C5aR- Achse das Potential hat, die im Rahmen des Mausmodells der OIR entwickelte retinalen Neovaskularisation signifikant zu hemmen. Eine Beteiligung der CD11b-positiven Zellen erscheint dabei als wahrscheinlich. Eine zukünftige Studie mit intravitrealen Injektionen (lokale anstatt systemischer Applikation) könnte die in der vorliegenden Studie gewonnenen Erkenntnisse um wertvolle Informationen erweitern. Dennoch deuten die Ergebnisse der vorliegenden Studie darauf hin, dass der aktivierte Komplementfaktor C5a einen potentiellen neuen therapeutischen Angriffspunkt darstellt, der im Rahmen der Entwicklung neuer Behandlungsstrategien der ROP berücksichtigt werden sollte.