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In der Gesellschaft wird ein Wertewandel beschrieben, die Einstellung der Generation Y (geboren zwischen 1981 und 2000) zur Arbeit verändert sich. In der Vergangenheit wurde der tiermedizinische Arbeitsmarkt von den Arbeitsmodellen und Wertevorstellungen männlich dominierender und älterer Generationen geprägt. Der stetig wachsende Frauenanteil im tierärztlichen Berufsstand führt zu veränderten Erwartungen, denen Rechnung getragen werden muss. Bei deutschen praktizierenden Tiermedizinern (Männer und Frauen) berichten diverse Quellen von geringem Einkommen und langen Arbeitszeiten, die mit psychosomatische Beschwerden einhergehen. Berufsverbände reagierten auf die unbefriedigenden Beschäftigungsverhältnisse und entwickelten Gehaltsempfehlungen, ebenso gibt das Mindestlohngesetz seit 2015 einen neuen gesetzlichen Rahmen vor. Motiviert von dieser Situation war das Ziel der Dissertation, die aktuellen Arbeitsbedingungen (Arbeitszeiten und Einkommen) und erstmalig die damit verbundenen Zufriedenheiten sowie deren Einflussfaktoren aller Generationen praktizierender Tiermediziner in Deutschland zu untersuchen. Grundlage dafür war ein Fragebogen, der berufsübergreifende Vergleiche mit relevanten Subgruppen der deutschen Bevölkerung zulässt und Veränderungen zu den Resultaten einer früheren Studie aufzeigt. In dieser Dissertation werden Antworten von 1930 praktizierenden Tiermedizinern (9% der Zielpopulation) aus dem Frühjahr 2016 ausgewertet. Insgesamt arbeiteten Tiermediziner signifikant länger als vergleichbare Berufsgruppen in der deutschen Bevölkerung. Die Wochenarbeitszeit vollzeittätiger Tiermediziner war hoch (50,0h/ Woche im Median), insbesondere Pferdepraktiker (57,5h) und in privaten Kliniken Tätige (55,0h) hatten lange Arbeitszeiten und waren damit am unzufriedensten. Die Arbeitszeiten angestellter Tiermediziner haben sich bei einem Vergleich mit den Ergebnissen von 2006 zwar insgesamt verkürzt; trotzdem arbeiteten 47% der Angestellten länger als gesetzlich erlaubt. Männer arbeiteten signifikant häufiger nachts, an Sonntagen und in Rufbereitschaft als Frauen, und hatten durchschnittlich signifikant längere Arbeitszeiten als Frauen. Dieser Unterschied war bei Eltern besonders groß. Väter arbeiteten fast 19h in der Woche länger als Mütter; diese waren häufiger in Teilzeit tätig. Nutztier-, Pferde- und Gemischtpraktiker verbrachten nicht einmal die Hälfte ihrer Arbeitszeit am Tier, die restliche Arbeitszeit wurde insbesondere durch Fahrten und Administration vereinnahmt. Vollzeittätige, niedergelassene Tiermediziner verdienten signifikant mehr (Stundenlohn Männer 26€, Frauen 19€) als vollzeittätige angestellte Tiermediziner (Bruttostundenlohn Männer 14€, Frauen 13€). Letztere hatten einen signifikant geringeren Bruttostundenlohn als teilzeittätige angestellte Tiermediziner (Männer 18€, Frauen 16€). Männern war ein angemessenes Einkommen wichtiger als Frauen, und sie trugen anteilig auch mehr zum Haushaltseinkommen bei (Männer 80%, Frauen 50%). Seit 2006 hat sich das Gehalt der angestellten Tiermediziner etwas verbessert, sie verdienten aber signifikant weniger als gleichqualifizierte Akademiker und waren mit dem Verdienst auch signifikant unzufriedener als die Vergleichsgruppe aus der Bevölkerung. Insbesondere bei vollzeittätigen Berufsanfängern (27% verdienten weniger als 8,5€/h) und bei in Universitätskliniken vollzeittätigen Angestellten (51% verdienten weniger als 8,5€/h) kamen Mindestlohnunterschreitungen vor. Als Ursachen für geringe Stundenlöhne wurden unbezahlte Überstunden und nicht kostendeckende Preise diskutiert. Letztere sind möglicherweise auf die vorgeschriebene Gebührenordnung für Tierärzte, kostenlimitierte Klienten, die geringe betriebswirtschaftliche Ausbildung und die geringe Wertschätzung der eigenen Arbeit zurückzuführen. Mit zunehmenden Wochenarbeitsstunden und sinkendem Stundenlohn sank die allgemeine Arbeitszufriedenheit der Umfrageteilnehmer. So hatte auch die Zufriedenheit mit dem Einkommen großen Einfluss auf die Arbeitszufriedenheit und die Zufriedenheit mit der Arbeitszeit darüber hinaus erheblichen Einfluss auf die Lebenszufriedenheit der Umfrageteilnehmer. Ein gutes Arbeitsklima war allen untersuchten Subgruppen am wichtigsten. Die Arbeitszufriedenheit von Angestellten wurde besonders durch die Zufriedenheit mit den Kollegen und dem Vorgesetzten beeinflusst. Mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf waren die Umfrageteilnehmer am unzufriedensten, familienfreundliche Maßnahmen waren Frauen wichtiger als Männern. Im Vergleich zur relevanten Subgruppen aus der deutschen Bevölkerung waren angestellte Tiermediziner und Tierärztinnen signifikant unzufriedener mit vielen Teilbereichen ihres Lebens (Arbeit, Einkommen, Freizeit, Familienleben, Lebensstandard). Insgesamt 36% der Angestellten würden ihren Beruf nicht erneut wählen. Diese Ergebnisse rufen eindringlich zur Diskussion der Arbeitsbedingungen auf und verdeutlichen den Handlungsbedarf des Berufsstandes zur Verbesserung der Zufriedenheit praktizierender Tiermediziner in Deutschland. Handlungsempfehlungen für Universitäten könnte die Veränderung der Ausbildungsvoraussetzungen (Praktikum vor Beginn des Studiums), der Auswahlkriterien (Resilienz, emotionale Intelligenz) und der Ausbildungsschwerpunkte (verbesserte „Ersttageskompetenzen“, Kommunikation und Betriebswirtschaftslehre) sein. Im Berufsalltag praktizierender Tiermediziner könnte z.B. die Dokumentation der Arbeitszeit, die Reduzierung der Arbeitstage pro Woche, die Maximierung der Arbeitszeit am Tier durch Delegation anderer Tätigkeiten an Dritte, ein flächendeckender Preisanstieg durch die Berechnung kostendeckender Preise, eine Verbesserung des Arbeitsklimas, der Zusammenarbeit im Team und der Personalführung zielführend sein. Die Anhebung der Gebührenordnung für Tierärzte oder deren Abschaffung und eine verpflichtende Tierkrankenversicherung für Hobbytiere könnten in der Berufspolitik diskutiert werden.