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Fachbereich Veterinärmedizin


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    Beurteilung des Schweregrades von wiederholten Narkosen bei Mäusen durch objektive Ermittlung tierbasierter Indikatoren für Wohlbefinden (2018)

    Art
    Hochschulschrift
    Autor
    Hohlbaum, Katharina (WE 11)
    Quelle
    Berlin, 2018 — XI, 118 Seiten
    Verweise
    URL (Volltext): https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/23794
    Kontakt
    Institut für Tierschutz, Tierverhalten und Versuchstierkunde

    Königsweg 67
    14163 Berlin
    +49 30 838 61146
    tierschutz@vetmed.fu-berlin.de

    Abstract / Zusammenfassung

    Das 3R-Prinzip von Russel und Burch (Replace, Reduce, Refine bzw. Vermeiden, Verringern, Verbessern) soll nach der Richtlinie (RL) 2010/63/EU in allen tierexperimentellen Bereichen angewendet werden. Wenn immer möglich, sollen Tierversuche durch Alternativmethoden ersetzt werden. Wenn ein Tierversuch nicht vermieden werden kann und als unerlässlich gilt, darf nur die notwendige Anzahl an Versuchstieren eingesetzt und Schmerzen, Leiden sowie Schäden müssen auf ein Minimum reduziert werden. Eine mögliche Strategie, die Tierzahl zu reduzieren, ist die wiederholte Verwendung von Tieren innerhalb eines Verfahrens wie beispielsweise Bildgebungsstudien. Bildgebende Techniken ermöglichen longitudinale Verlaufsuntersuchungen am gleichen Tier, um Krankheits- oder Heilungsprozesse festzustellen. Allerdings müssen die Tiere für jede bildgebende Untersuchung mittels Narkose immobilisiert werden, obwohl denkbar ist, dass wiederholte Narkosen das Wohlbefinden eines Tieres in einem größeren Ausmaß als eine einmalige Narkose beeinträchtigen könnten. Eine wiederholte Verwendung von Tieren innerhalb eines Verfahrens ist nur sinnvoll im Sinne des 3R-Prinzips, wenn Schmerzen, Leiden und Schäden nicht akkumulieren. Der Schweregrad der wiederholten Verwendung innerhalb eines Verfahrens darf den Schweregrad der einmaligen Verwendung nicht übersteigen, denn die Tierzahl darf nicht auf Kosten des Wohlbefindens einzelner Tiere reduziert werden. Der Schweregrad von Narkosen gilt entsprechend Anhang VIII der RL 2010/63/EU zwar als gering belastend, aber die Richtlinie differenziert weder zwischen einer einmaligen Narkose und wiederholten Narkosen noch zwischen den verschiedenen Gruppen der Allgemeinanästhetika. Um die Belastung durch wiederholte Narkosen gemäß der RL 2010/63/EU beurteilen zu können, wurden in der vorliegenden Arbeit die Auswirkungen von wiederholten Narkosen (6 × mit einem Intervall von drei bis vier Tagen) und einer einmaligen Narkose auf das Wohlbefinden von adulten C57BL/6JRj Mäusen mit unbehandelten Mäusen verglichen. Dabei wurden die in der Versuchstierkunde am häufigsten durchgeführten Anästhesien, die Inhalationsanästhesie mit Isofluran sowie die Injektionsanästhesie mit der Kombination aus Ketamin und Xylazin, verwendet. Exzitationen, Narkosephasen und Vitalparameter wurden während der Narkoseüberwachung bestimmt. Für den postanästhetischen Zeitraum wurde ein Protokoll zur systematischen Beurteilung von Wohlbefinden bei Mäusen nach Allgemeinnarkosen entwickelt und angewendet. Das Protokoll enthielt Tests zum Luxury Behavior, die Mouse Grimace Scale (MGS), den Free Exploratory Paradigm für Angst-bezogenes Verhalten, die Aktivität, die Futteraufnahme und das Körpergewicht sowie die Analyse von fäkalen Kortikosteronmetaboliten (FCM) für akuten Stress. In Bezug auf Inhalationsnarkosen mit Isofluran beeinflussten weder eine einmalige Narkose noch wiederholte Narkosen das Nestbauverhalten, die Aktivität, das Körpergewicht und Konzentration an FCM. Unterschiede in der MGS, dem Wühlverhalten, der Futteraufnahme und dem Angst-bezogenem Verhalten in Abhängigkeit vom Geschlecht deuteten darauf hin, dass das Wohlbefinden nach wiederholten Inhalationsnarkosen stärker als nach einer einmaligen Inhalationsnarkose oder bei den Kontrolltieren beeinträchtigt war, insbesondere bei weiblichen Tieren. Außerdem zeigten Tiere, die wiederholt narkotisiert wurden, mehr Exzitationen während der Induktion. Insgesamt beeinträchtigten wiederholte Inhalationsnarkosen das Wohlbefinden der Mäuse geringgradig für einen kurzen Zeitraum in der frühen postanästhetischen Phase. Die Injektionsnarkosen mit Ketamin und Xylazin in einmaliger und wiederholter Anwendung beeinflussten weder Nestbauverhalten noch die Aktivität oder das Körpergewicht. Veränderungen, abhängig vom Geschlecht, in der MGS, der Futteraufnahme, dem Angst-bezogenen Verhalten und der FCM-Konzentration zwischen einmaliger Narkose, wiederholten Narkosen oder unbehandelten Tieren indizierten, dass sich die negativen Effekte von wiederholten Narkosen auf das Wohlbefinden der Mäuse nicht aufsummierten und somit geringgradig waren. Trotz des deutlichen Habituationseffekts an die Prozedur der Injektionsnarkose, gemessen anhand der FCM-Werte, war das Level an akutem Stress und das Angst-bezogene Verhalten nach wiederholten Injektionsnarkosen über einen vermutlich längeren Zeitraum erhöht als nach einer einmaligen Injektionsnarkose. Gemäß RL 2010/63/EU können wiederholte Inhalationsnarkosen mit Isofluran, entsprechend des verwendeten Narkoseprotokolls, als gering belastend klassifiziert werden. Der Schweregrad wiederholter Injektionsnarkosen mit KX hängt davon ab, ob die noch zu prüfende Dauer der geringgradigen Effekte auf das Wohlbefinden kurzzeitig oder schon lang anhaltend ist und somit dem Schwergrad „mittel“ zugeordnet werden müssen. Insgesamt beeinflussen die wiederholten Inhalationsnarkosen das Wohlbefinden der Mäuse über einen wesentlich kürzeren Zeitraum als wiederholte Injektionsnarkosen und sollte daher vorgezogen werden, wenn in einer Studie – unter Berücksichtigung aller möglichen Faktoren – beide Narkoseregime in Frage kommen. Um die Belastung durch andere Narkoseregime auf wissenschaftlicher und tierbasierter Ebene zu beurteilen, kann das Protokoll zur systematischen Beurteilung von Wohlbefinden bei Mäusen nach Allgemeinnarkosen genutzt werden. In Verbindung mit Anhang VIII der RL 2010/63/EU kann somit der Schweregrad objektiv ermittelt werden.