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Zeckenübertragene Krankheitserreger gewinnen sowohl in der Human- als auch in der Veterinärmedizin zunehmend an Bedeutung. In Europa ist Dermacentor reticulatus die zweithäufigste Zeckenart nach Ixodes ricinus. Durch die Schaffung geeigneter Habitate, durch die im Rahmen der Globalisierung steigenden Tierbewegungen und dem Klimawandel wird die weitere geografische Ausbreitung der Zeckenspezies beobachtet. Dermacentor reticulatus ist als Vektor verschiedener, insbesondere veterinärmedizinisch bedeutender Pathogene von großer Relevanz. Zur Einschätzung des von D. reticulatus ausgehenden Risikopotentials im Raum Berlin/Brandenburg wurde im Rahmen dieser Dissertation sowohl die saisonale Aktivität als auch die Häufigkeit verschiedener Erreger in adulten Buntzeckenpopulationen untersucht. Dazu wurden vier verschiedene Standorte im Umland von Berlin (Güterfelde, Gatow, Falkenberg, Königs Wusterhausen) im Zeitraum März 2010 bis November 2011 in einem zweiwöchigen Intervall unter Verwendung der Flaggen-Methode beprobt. Mit insgesamt 8166 gesammelten Exemplaren stellte D. reticulatus gegenüber 1020 geflaggten I. ricinus die dominierende Zeckenspezies dar. Sämtliche Buntzecken waren adult und an allen Standorten wurde ein signifikant höheres Vorkommen weiblicher Vertreter dokumentiert. Dermacentor reticulatus zeigte an allen Standorten und in beiden Sammeljahren ein charakteristisches bimodales Aktivitätsmuster. Demnach erstreckten sich die Zeiträume stabiler Zeckenaktivitäten von März bis Mitte/Ende Mai und von Mitte August bis November. Während der Sommermonate wurde ein nahezu kompletter Rückgang der Buntzeckenaktivität beobachtet. Probennahmen zum Jahresbeginn 2011 sowie zusätzliche Beprobungen von Dezember 2011 bis April 2012 am Standort Güterfelde verdeutlichten eine, wenn auch hohen Schwankungen unterliegende, Aktivität von D. reticulatus während der Wintermonate. Potentielle Einflüsse auf die Zeckenaktivität wurden durch die multivariate Analyse der Parameter Standort, Jahr, Saison, Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit in einer Negativ-Binomial-Regressionsanalyse überprüft. Im Ergebnis zeigte sich der signifikante Einfluss der Variablen Standort, Saison und Temperatur auf die Buntzeckenaktivität. Die Temperatur wirkte dabei in Abhängigkeit von ihrer Höhe unterschiedlich auf die Aktivität von D. reticulatus: die Zahl aktiver Zecken nahm mit zunächst steigenden Temperaturen zu und fiel ab Erreichen eines Temperaturoptimums von 14,03 °C wieder ab. Aus der Gesamtanzahl gesammelter Buntzecken wurde eine Stichprobe von 2000 adulten weiblichen Exemplaren mithilfe verschiedener PCR-Verfahren auf Babesia spp., Borrelia spp., Anaplasma spp., Ehrlichia spp., Candidatus Neoehrlichia mikurensis und Rickettsia spp. untersucht. Mit Ausnahme der Rickettsien lagen nur geringe Erregerprävalenzen in D. reticulatus vor. Gerade einmal 0,05 % (95 % Konfidenzintervall [95 % KI]: 0,01-0,28 %) und 0,25 % (95 % KI: 0,11-0,58 %) der Zecken beherbergten Anaplasmen bzw. Borrelien. In keinem einzigen Exemplar wurden Babesien, Ehrlichien bzw. Cand. Neoehrlichia mikurensis detektiert (0 %; 95 % KI: 0-0,14 %). Die Sequenzierung der positiven Proben verdeutlichte eine Infektion mit Anaplasma phagocytophilum, Borrelia afzelii und Borrelia miyamotoi. Letzterer Befund gilt als Erstbeschreibung in D. reticulatus. Die Rickettsien-Prävalenz erreichte mit insgesamt 64,0 % (95 % KI: 61,9-66,1 %) eine der höchsten jemals in D. reticulatus beschriebenen Werte. Die Sequenzierung einer Stichprobe positiv getesteter Proben ergab die Infektion mit Rickettsia raoultii. Am Standort Gatow waren mit 31,4 % wesentlich weniger Zecken mit Rickettsien infiziert als in den drei verbleibenden Gebieten, welche Prävalenzen von 71,5-78,3 % aufwiesen. Die im generalisierten linearen logistischen Regressionsmodell durchgeführte Beurteilung möglicher Einflüsse durch die Parameter Standort, Jahr und Saison zeigte, dass ausschließlich die Standorte von signifikanter Bedeutung in Bezug auf die Prävalenzhöhe sind. Die Untersuchungen verdeutlichen das Vorkommen stabiler D. reticulatus-Populationen in den untersuchten Gebieten am Berliner Stadtrand und dessen Umland, welche z. T. auch als Naherholungsgebiete genutzt werden. Darüber hinaus sollte ein mögliches Infestationsrisiko durch infizierte Zecken auch in der kalten Jahreszeit ins Bewusstsein der Menschen gerufen werden und unter Umständen eine ganzjährig durchzuführende Zeckenprophylaxe empfohlen werden. Der in den untersuchten Populationen primär detektierte Erreger R. raoultii ist bezüglich möglicher klinischer Folgen in der Veterinärmedizin nicht ausreichend untersucht, in der Humanmedizin gilt er jedoch als Auslöser der SENLAT-Erkrankung. Die Studie liefert damit einen grundlegenden Beitrag zur Risikoeinschätzung hinsichtlich des Zeckenbefalls sowie der durch Buntzecken übertragenen Krankheitserreger in der Region Berlin/Brandenburg.