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Das Flugunfähigmachen von Zoovögeln stellt bis heute weltweit eine gängige Praxis dar, um Flamingos, Pelikane und einige weitere Vögel, die eine starke Bindung an den Boden oder an Wasser haben, in Freianlagen zeigen zu können. In Deutschland ist das Kupieren - also die Amputation der Flügelspitze - durch §6 des deutschen Tierschutzgesetzes verboten – durch die Langlebigkeit vieler Vogelarten leben jedoch noch sehr viele so flugunfähig gemachte Individuen in deutschen Zoos. Nicht eindeutig geregelt ist das reversible Flugunfähigmachen, also das Beschneiden der Schwungfedern, das mit jeder Mauser wiederholt werden muss. Dies stellt die aktuell gängige Praxis in den meisten deutschen Zoos dar. Diese Haltungsform gerät aber zunehmend in die Kritik, da die Vereinbarkeit des Flugunfähigmachens mit dem Tierwohl der betroffenen Vogelarten von einigen Zoorepräsentanten, aber auch Politikern und Tierrechtsorganisationen in Zweifel gezogen wird. In der wissenschaftlichen Literatur ist die Fragestellung nach dem Tierwohl im Zusammenhang mit dem Flugunfähigmachen bisher nicht bearbeitet worden. Es finden sich zwar zahlreiche Argumente für und wider dieser Haltungsform – diese befassen sich jedoch entweder mit anderen Aspekten (z.B. der Praktikabilität dieser Haltung vor dem Hintergrund des Artenschutzes oder der reduzierten Kopulationsfähigkeit flugunfähig gemachter Tiere) oder aber sie beruhen auf Vermutungen hinsichtlich des Tierwohls - teilweise auf Grundlage verhaltensbiologischer Daten, teilweise aber auch schlicht aus vermenschlichenden Gedankengängen. Auch beziehen sich viele der diesbezüglich getätigten Aussagen generalisiert auf die Klasse der Vögel ohne dabei der Vielfalt der Arten und deren spezieseigenen Bedürfnissen Rechnung zu zollen. Belastbare, wissenschaftliche Daten existierten bisher nicht. Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit erhobenen Daten wurden an Rosaflamingos (Phoenicopterus roseus) in insgesamt zwölf deutschen zoologischen Einrichtungen evaluiert und basieren auf der Kombination von Federcorticosteronmessungen mit Verhaltensbeobachtungen. Dabei wurde von insgesamt 152 Rosaflamingos unterschiedlichen Flugfähigkeitsstatus (irreversibel flugunfähig, reversibel flugunfähig, flugfähig) die Federcorticosteronkonzentration bestimmt und in einem gemischten linearen Regressionsmodell ausgewertet. Im Vorfeld wurde jede der teilnehmenden Gruppen über drei konsekutive Tage hinweg mittels Scan Sampling beobachtet, um potentiell anders geartete Stressoren, die das Federcorticosteron beeinflussen könnten, auszumachen. Zwischen den drei Gruppen unterschiedlicher Flugfähigkeitsstatus wurden keine signifikanten Unterschiede in der Federcorticosteronkonzentration festgestellt. Auch die Faktoren Geschlecht, Gruppengröße, Vergesellschaftung mit anderen Vogelarten sowie der Reproduktionsstatus zeigten keinen signifikanten Einfluss. Als maßgeblicher Faktor konnte der Einfluss der Einrichtung selbst (also die individuellen Haltungsbedingungen jedes Zoos) herausgestellt werden, der mittels Varianzanalyse mit 53,82 % als wichtigste Einflussgröße bestimmt wurde. Die Daten aus der Verhaltensbeobachtung wurden qualitativ hinzugezogen und konnten die Corticosteron-Messungen stützen. Die Ergebnisse der Studie geben erste Hinweise auf das Wohlbefinden von flugunfähig gemachten Rosaflamingos. Die erhobenen Daten lassen kein erhebliches Leiden durch das Unvermögen zu fliegen vermuten. Wie bereits erwähnt, handelt es sich um die erste Studie dieser Art, so dass diese Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren sind. Zu weiterer Forschung mit einem optimierten Modell an weiteren Flamingopopulationen sowie anderen von der Haltungsform betroffenen Vogelspezies soll daher ermutigt werden.