zum Inhalt springen

Fachbereich Veterinärmedizin


Service-Navigation

    Publikationsdatenbank

    Diskrepanzen zwischen In-vitro und In-vivo Empfindlichkeit (2020)

    Art
    Vortrag
    Autoren
    Feßler, Andrea (WE 7)
    Richter, Angelika
    Kongress
    10. Leipziger Tierärztekongresses
    Leipzig, 16. – 18.01.2020
    Quelle
    10. Leipziger Tierärztekongress : Tagungsband 1 — Editoren: Dr. Reiko Rackwitz (Albrecht-Daniel-Thaer-Institut für Agrar- und Veterinärwissenschaften e.V., Universität Leipzig), Prof. Dr. Michael Pees (Klinik für Vögel und Reptilien, Universität Leipzig), Prof. Dr. Jörg R. Aschenbach (Institut für Veterinär-Physiologie, Freie Universität Berlin), Prof. Dr. Gotthold Gäbel (Veterinär-Physiologisches Institut, Universität Leipzig) (Hrsg.)
    Leipzig: Universität Leipzig, 2020. Leipziger Blaue Hefte — S. 556–558
    Verweise
    URL (Volltext): https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:15-qucosa2-349981
    Kontakt
    Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen

    Robert-von-Ostertag-Str. 7-13
    14163 Berlin
    +49 30 838 51843 / 66949
    mikrobiologie@vetmed.fu-berlin.de

    Abstract / Zusammenfassung

    Hintergrund:
    Aufgrund der zunehmenden Resistenzproblematik ist es bei einer bakteriell bedingten Infektion empfehlenswert vor einer antibiotischen Therapie bzw. bei akuten lebensbedrohlichen Zuständen, wie beispielsweise Septikämien, begleitend zur antibiotischen Therapie eine antimikrobielle Empfindlichkeitsprüfung (= Antibiogramm) durchzuführen. Dadurch kann entweder ein geeigneter Wirkstoff ausgewählt werden oder im Falle eines auftretenden Therapieversagens die Therapie entsprechend umgestellt werden (1). Die derzeit gültige Verordnung über tierärztliche Hausapotheken (TÄHAV) fordert daher unter anderem die Erstellung eines Antibiogramms, wenn das Antibiotikum im Verlauf einer Behandlung gewechselt wird.
    Wichtige Aspekte bei der antimikrobiellen Therapie:
    Die klinische Wirksamkeit (In-vivo-Wirksamkeit) eines Antibiotikums wird durch viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst. Das Antibiogramm, aus dem sich die In-vitro-Wirksamkeit eines Antibiotikums erkennen lässt, dient eher dazu, zu vermeiden, dass Antibiotika, gegenüber denen die ursächlich am Infektionsgeschehen beteiligten Bakterien bereits unter Laborbedingungen Resistenz oder verminderte Empfindlichkeit zeigen, therapeutisch eingesetzt werden. Ein Therapieversagen muss nicht immer auf der Resistenz der Bakterien gegenüber dem ausgewählten Antibiotikum oder auf Fehldiagnosen beruhen (2, 3).Bei der antimikrobiellen Therapie sind neben der Auswahl eines gegen den Erreger in-vitrowirksamen Antibiotikums auch der Infektionsort, die Infektionsart (akut/chronisch), pharmakokinetische Eigenschaften des Wirkstoffs sowie gegebenenfalls zu erwartende Nebenwirkungen und Wechselwirkungen von großer Bedeutung (1). Zudem muss der Immunstatus des jeweiligen Patienten berücksichtigt werden. So sind beispielsweise bei sehr jungen oder immunsupprimierten Tieren bakterizide Wirkstoffe empfehlenswert.

    Mögliche Ursachen für Therapieversagen:
    Eine Vielzahl von Faktoren istfür die erfolgreiche Therapie relevant. Hierzu zählen die pharmakokinetischen Eigenschaften des Antibiotikums, die Eignung der galenischen Formulierung eines Präparates und die korrekte Anwendung. So ist zum Beispiel insbesondere bei Knocheninfektionen die Gewebegängigkeit des Antibiotikums zu berücksichtigen. Ebenso spielen physiologische Aspekte eine wichtige Rolle. So ist es wichtig zu wissen, dass nur wenige Antibiotika in der Lage sind, die intakte Blut-Hirn-oder Blut-Euter-Schranke zu passieren. Diese Schranken werden jedoch im Zusammenhang mit Entzündungen häufig geschädigt. Dieser Problematik wird in der bovinen Mastitistherapie mit entsprechenden Formulierungen Rechnung getragen, die bei systemischer Applikation zu einer Anreicherung in der Milch führen. Am Infektionsort können veränderte physikalisch-chemische Verhältnisse vorherrschen (z.B. pH-Wert, pO2), die in der bakteriologischen Diagnostik nicht immer berücksichtigt werden. Zum Beispiel sind Aminoglykoside im sauren und anaeroben Milieu wenig wirksam. Daraus können sich Diskrepanzen zwischen In-vitro-Empfindlichkeit und der klinischen Wirksamkeit ergeben. Weiterhin ist eine In-vivo-Unwirksamkeit von Antibiotika mit nachgewiesener In-vitro-Wirksamkeit möglich, wenn sich der für das Infektionsgeschehen ursächliche Erreger im Gewebe abkapselt (z.B. Bildung von Abszessen oder Granulomen), sich in Körperzellen zurückzieht oder zur Bildung von „Biofilmen“ (Schutzmäntel ausPolymeren) befähigt ist. In diesen Fällen ist das Therapieversagen darin begründet, dass am Infektionsort keine ausreichenden Wirkstoffkonzentrationen erreicht werden bzw. die Antibiotika aufgrund der Biofilmbildung nicht in wirksamer Konzentration zu den Bakterien gelangen. Eine weitere Ursache für das Therapieversagen ist das Vorliegen von sogenannten Persistern. Dabei handelt es sich um eigentlich sensible Bakterien, die aber aufgrund einer drastischen Verlangsamung ihres Stoffwechsels kaum Wachstum zeigen und so in Anwesenheit von Antibiotika überleben können (4). Außerdem können viele Bakterien Formen bilden, die als „viable but not culturable“ (VBNC) bezeichnet werden und aufgrund ihres reduzierten Stoffwechsels phasenweise kein Wachstum auf den üblichen und geeigneten Medien zeigen und in dieser Phase eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen Umwelteinflüsse, inklusive Antibiotika, aufweisen (4).
    Aufgrund der Komplexität der Thematik ist ein Therapieversagen trotz sorgfältiger Diagnostik nicht immer vermeidbar. Bei Berücksichtigung verschiedener Aspekte, wie Infektionsort und Zustand des Patienten, kann jedoch das Risiko minimiert werden. So sind bei der der Auswahl des Antibiotikums neben pharmakodynamischen Charakteristika (Wirkungsspektrum, Wirkungspotenz, Wirktyp) auch die pharmakokinetischen Eigenschaften zu bedenken, um eine Gewebekonzentration des Antibiotikums zu erreichen, die über der Minimalen Hemmkonzentration (MHK) der zu bekämpfenden Bakterien liegt. Auch wenn diese Kriterien bei der Zulassungvon Tierarzneimitteln bezüglich Tierart und Indikation berücksichtigt sind, können individuelle Besonderheiten nicht abgedeckt werden. Zum Beispiel bedingen krankheitsbedingte regionale Mangeldurchblutungen und abgekapselte Prozesse eine verminderte Penetration auch gut gewebegängiger Wirkstoffe in den Infektionsort, sodass nach Möglichkeit chirurgische Maßnahmen (wie z.B. Abszessspaltung) zu ergreifen sind. Da länger bestehende Erkrankungen mit Fibrosen (z.B. Pasteurellen-bedingte Pneumonien) die Erfolgsaussichten der Antibiose infolge einer reduzierten Perfusion deutlich mindern, ist in solchen Fällen der frühzeitige Einsatz eines Antibiotikums ratsam. Insbesondere bei bakteriostatisch wirksamen Antibiotika wird das Ausbleiben der körpereigenen Immunabwehr die Erfolgsaussichten mindern.
    Bei Misserfolgen einer antibakteriellen Therapie ist zu hinterfragen, ob das Antibiotikum korrekt verordnet bzw. angewendet wurde, d.h. Dosis, Dosisintervall, Applikationsart und Behandlungsdauer den Angaben der Gebrauchsinformation entsprachen. Auch Fehler im Umgang mit Antibiotika, die zur Inaktivierung der Wirkstoffe geführt haben (Instabilität in wässrigen Lösungen, temperaturbedingte Zersetzung), können ein Therapieversagen verursachen.

    Fazit:
    Die oben genannten Punkte zeigen beispielhaft, dass Misserfolge einer antibakteriellen Therapie in der tierärztlichen Praxis diverse Ursachen haben können und folglich nicht immer auf Antibiotikaresistenzen beruhen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die komplexen Zusammenhänge im Rahmen einer antimikrobiellen Therapie zu kennen, um die Gefahr eines Therapieversagens durch entsprechende Vermeidungsstrategien minimieren zu können.