Königsweg 65
14163 Berlin
+49 30 838 62261
klauentierklinik@vetmed.fu-berlin.de
Ziel dieser Arbeit war die Optimierung von Konzepten zum effizienten Einsatz anionischer Salze mit sicherer prophylaktischer Wirkung bei Minimierung der Nebenwirkungen. Zu diesem Zweck wurde eine Beobachtungsstudie auf einem kommerziellen Milchviehbetrieb (1700 Holstein-Frisian-Milchkühe, Jahresdurchschnittsleistung ca. 11.000 kg Milch, 3,83 % Fett und 3,33 % Eiweiß) durchgeführt. Um die Effekte der Fütterung anionischer Salze auf die Fütterung, den Metabolismus und den Gesundheitsstatus der Kühe zu analysieren, wurde die Anionenration mit einer kalziumreduzierten Vorbereitungsfütterung verglichen. Der Einsatz der anionischen Salze wurde über ein ¾ Jahr mittels eines Probenplans begleitet (Ziel: DCAB um 0 mEq/kg TS, Kalziumgehalt 9-14 g/kg TS). Danach stellte der Betrieb die Fütterung von der Anionenration auf eine kalziumreduzierte Vorbereitungsfütterung um (Ziel: DCAB zwischen +100 mEq/kg TS und +200 mEq/kg TS, Kalziumgehalt 4-6 g/kg TS). Zur Kontrolle der Wirkung der jeweiligen Vorbereiterration auf den Kalziumstoffwechsel der Kühe wurden Blutproben von den gekalbten Tieren (n=705 mit Fütterung anionischer Salze und n=168 mit kalziumreduzierter Diät) und Harnproben (n=445 mit Fütterung anionischer Salze und n=135 mit kalziumreduzierter Diät) von den Tieren aus der Vorbereitungsfütterung genommen. Zusätzlich wurde in regelmäßigen Abständen Futterproben (n=13 mit Fütterung anionischer Salze und n=6 mit kalziumreduzierter Diät) der Vorbereiterration untersucht. Der Kaliumgehalt der Futterration war in der vorliegenden Untersuchung der bestimmende Faktor der DCAB (sr2 = 0,23; p < 0,05) und damit hauptsächlich für die Effekte auf den Säure-Basen-Haushalt der Kühe verantwortlich. Zur Berechnung der DCAB sollte die schon hauptsächlich in der Praxis genutzte Formel nach ENDER (1971) Verwendung finden, da sie sich international durchgesetzt hat und sich die Referenzwerte für den Einsatz einer Anionenration überwiegend auf sie beziehen. Der erfolgreiche Einsatz einer Anionenration führte in der vorliegenden Untersuchung zu signifikant höheren mittleren Serumkalziumkonzentrationen im Vergleich zur kalziumreduzierten Diät (1,93 mmol/l vs. 1,83 mmol/l) um die Kalbung. Durch die Nutzung des Anionenkonzeptes kam es im Vergleich zur kalziumreduzierten Vorbereitungsfütterung zu positiven Effekten auf die Tiergesundheit in Form von niedrigeren Erkrankungsinzidenzen. Besonders deutlich wurde dies anhand der Gebärpareseinzidenz. So führte die Verwendung der anionischen Salze zu einer signifikant geringeren Gebärpareseinzidenz (6,3% vs. 10,2%). Der große Anteil hypokalzämischer Tiere um die Abkalbung (ungefähr 50% der pluriparen Kühe und 20% der Jungkühe), der sich mit der internationalen Literatur deckt, macht deutlich, dass jeder Milchviehbetrieb ein strategisches und systematisches Prophylaxekonzept zur Verminderung der klinischen und subklinischen Hypokalzämie benötigt. Er stellt aber auch in Frage, ob der derzeit gültige Grenzwert der Serumkalziumkonzentration von 2,0 mmol/l zur Beurteilung der Kalziumhomöostase im unmittelbaren peripartalen Zeitraum geeignet ist. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit stehen im Einklang mit dem aktuellen Stand der Wissenschaft zur physiologischen Wirkung der anionischen Salze. Dieses Wissen bildet die Grundlage für eine erfolgreiche und zugleich sichere Anwendung der Anionenration zur Prophylaxe des für die Tiergesundheit wichtigen Komplexes der Hypokalzämie. Die Ansäuerung mit Verschiebung der pH- und NSBA-Werte in den sauren Bereich (pH < 7,8; NSBA < +50 mmol/l) ist auf den Einsatz der anionischen Salze zurückzuführen. Die erhöhte Kalziumkonzentration im Harn (7 bis 15 mmol/l) zeigt die gewünschte Wirkung der anionischen Salze an. Der Rationswechsel mit dem Absetzen der anionischen Salze hebt diese Ansäuerung auf und führt zu einem sprunghaften Anstieg der pH- und NSBA-Werte (pH > 7,8; NSBA > +100 mmol/l) bei gleichzeitigem Absinken der Harnkalziumwerte (< 3,0 mmol/l). Über die Bestimmung des Harn-pH, der NSBA und der Harnkalziumkonzentration ist der erreichte Ansäuerungsgrad im Zusammenhang mit den Effekten auf die Kalziummobilisation und zugleich die Bioverfügbarkeit von Kalzium aus dem Futter als laufende Maßnahme in der Herdenüberwachung zu kontrollieren. Die ansäuernden Effekte der anionischen Salze sind dabei am Tier selbst mit Hilfe der Harnparameter (Harn-pH, NSBA, Harnkalziumkonzentration) einzustellen. Eine Kontrolle der Anionenration ist durch Einzel- und Poolproben möglich. Die Streuung der Werte der Futteranalysen und Harnparameter zeigen, dass der Einsatz einer Anionenration eine routinemäßige begleitende Überwachung erfordert. Aufgrund der individuellen Streuung der Einzelwerte im Zielbereich der Ansäuerung (DCAB um 0 mEq/kg TS) ist die Schaffung differenzierter Referenzbereiche mit sicherer ansäuernder Wirkung für die Bewertung der Pool- und der Einzelproben notwendig. Aus den eigenen Ergebnissen lassen sich für die Pool- (pH: 7,0 bis 7,7; NSBA: 0 mmol/l bis +30 mmol/l) und Einzelproben (pH: 6,2 bis 7,8; NSBA: -50 mmol/l bis +50 mmol/l) Referenzwerte ableiten, die mit den internationalen v.a. im nordamerikanischen Raum genutzten Referenzwerten für den Einsatz anionischer Salze übereinstimmen. Der Probenentnahmezeitpunkt zur Kontrolle der Anionenration hat nach den eigenen Ergebnissen keinen Einfluss auf das Messergebnis und bestätigt andere Arbeiten. Infolge der individuellen Streuungen der Einzelproben sollte in der praktischen Kontrolle im Stall aus den Harn-pH-Werten der Einzelproben der Mittelwert gebildet werden und dieser mit dem Referenzbereich verglichen werden. In Abhängigkeit von der Herdengröße ist die pH-Bestimmung im Harn mindestens zweimal in der Woche bei 8 bis 10 Kühen durchzuführen, die die Anionenration seit mindestens 3 Tagen fressen. Die erfolgreiche Anwendung einer Anionenration für eine sichere Prophylaxe der Hypokalzämie auf Herdenebene stellt hohe Anforderungen an das Fütterungsmanagement eines Betriebes und setzt eine intensive Kontrolle und Steuerung der Anionenration in der praktischen Anwendung voraus. Bei der Anwendung einer Anionenration sind verschiedene Schwerpunkte zu beachten. Grundlage für die Anwendung von anionischen Salzen ist die Verfütterung einer bedarfs- und wiederkäuergerechten Ration an die Vorbereitungskühe. Zur Vermeidung von Futteraufnahmedepressionen bedingt durch die anionischen Salze sollten geschmacksneutrale und/ oder gekapselte anionische Salze zum Einsatz kommen. Für die sichere Wirkung der Anionenration ist die Erhöhung des Kalziumgehaltes (9 bis 13 g/kg TS) in der Ration von großer Bedeutung. Aus der eigenen Untersuchung kann dabei abgeleitet werden, dass der Bioverfügbarkeit des Kalziums für die Kuh in der Futterration bzw. den einzelnen Futtermitteln eine entscheidende Bedeutung für die sichere Anwendung der Anionenration zukommt. Um den erhöhten Kalziumbedarf bei Verfütterung anionischer Salze zu decken, sollte deshalb Futterkalk genutzt werden, da er als anorganische Kalziumquelle eine hohe und sichere Bioverfügbarkeit für die Kuh aufweist und eine Verfütterung relativ großer Mengen keine relevanten nachteiligen Effekte hat. Daher sind weitere Untersuchungen nötig, die die Bioverfügbarkeit von Kalzium in den einzelnen Futtermitteln charakterisieren, um die Kalziumsubstitution einer Anionenration weiter zu verbessern.