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Einleitung: Die Kälberanämie ist eine gut bekannte Erkrankung. Die Prophylaxe über Eisengaben der neugeborenen Kälber ist als Bestandsmaßnahme etabliert. Die Prophylaxe fütterungsabhängiger Erkrankungen geht zunehmend vom Tierarzt weg in Richtung des Fütterungsberaters oder des Landwirtes. Das ist mit dem Risiko verbunden, dass etablierte veterinärmedizinische Prophylaxemaßnahmen nicht mehr angewandt oder durch firmenspezifische Zusatzfuttermittel ersetzt werden. In einer ökologisch geführten Milchkuhherde hat sich durch eine ständige Verbesserung des Herden- und vor allem Fütterungsmanagement eine stabile Herdengesundheit ausgebildet. Das betrifft sowohl die Kühe als auch die Kälber. Im Sinne der Regularien der ökologischen Landwirtschaft soll der Einsatz von Arzneimitteln auf ein Mindestmaß reduziert werden. Deshalb wurde auf die Eisensubstitution bei den neugeborenen Kälbern verzichtet. Die Kälber müssen 10 Wochen mit Kuhmilch getränkt werden. Damit unterlagen die Kälber einem sehr hohen Risiko für die Entwicklung einer Kälberanämie. Klinisch fielen die Kälber in der gesamten Tränkperiode durch eine sehr gute Vitalität auf, Erkrankungen und Todesfälle waren vernachlässigbar niedrig. Der Landwirt fühlt sich in seiner Vorgehensweise des Verzichts auf eine Eisenergänzung bestätigt und forderte dazu auf, die Gültigkeit von „Lehrbuchwissen“ immer wieder kritisch zu hinterfragen. Daraufhin wurde eine Bestandsuntersuchung der Kälber in den ersten 10 Lebenswochen durchgeführt.
Material und Methoden: Zum ersten Untersuchungstag wurde von allen im Bestand befindlichen Kälbern (n=40) im Altersfenster von 0 bis 10 Lebenswochen eine EDTA-Blutprobe zur Bestimmung des roten Blutbildes (Hämatokrit, Hämoglobin, Zahl der Erythrozyten) gewonnen. Im Blutplasma erfolgte Bestimmung der Konzentration an Eisen, Kupfer und Selen. Die zweite Untersuchung erfolgte vier Wochen später. Bei 21 Kälbern wurden Blutproben zur Bestimmung des roten Blutbildes in den EDTA-Blutproben sowie zur Bestimmung der Konzentrationen an Eisen, Kupfer, Selen in Blutserum- und Blutplasmaproben gewonnen. Von jeweils sieben Kälbern im Altersfenster 0 bis 2 sowie 5 bis 7 Lebenswochen wurden Leberbioptate zur Bestimmung der Spurenelementkonzentrationen entnommen. Zusätzlich wurden Blut- und Leberproben von 7 Kühen in der frühen Trockenstehperiode und 5 Kühen in der Vorbereitungsperiode gewonnen.
Ergebnisse: Die Kälber werden mit hohen Hämoglobin- und Hämatokritwerten geboren. In der Tränkperiode entwickelt sich eine ausgeprägte Anämie mit Einzelwerte an Hämoglobin unter 60 g/l (Abbildung 1) und des Hämatokrits unter 10% (Abbildung 2). Die Anämie erreicht in der fünften bis siebenten Lebenswoche die stärkste Ausprägung. Alle Kälber sind sehr vital und klinisch unauffällig. Die hochgradige Anämie hat sich in der zweiten Untersuchung bestätigt. Die Untersuchungen der Spurenelementkonzentrationen in den Blut- und Leberproben liegen noch nicht vor. Als Ursache der Anämie ist eine kombinierte Wirkung eines Mangels an Eisen und Kupfer bei den Kälbern auf Grund der Kuhmilchernährung zu erwarten. Zusätzlich ist von einem Selenmangel auszugehen. Darüber hinaus ist die Versorgungslage der Trockensteher und Vorbereiter von Interesse. Alle Ergebnisse liegen im Mai vor.
Diskussion: Erwartungsgemäß entwickeln die Kälber eine Anämie im Sinne des Krankheitsbildes der Milchkälberanämie. Nicht zu erwarten waren der Zeitraum und das Ausmaß der Anämie. Die aussagekräftige Diagnostik basiert zwingend auf die hämatologische Blutuntersuchung. Sollen die die Ursachen beurteilt werden, muss die Diagnostik auf die Untersuchung der Spurenelementversorgung mit Eisen und Kupfer erweitert werden.