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Problemstellung:
Das Problem hoher Abgangsraten bei Jungkühen und einer sinkenden Nutzungsdauer wurde in den letzten Jahren immer wieder thematisiert. Ebenso wurde in der Literatur der negative Einfluss sowohl von zu gering als auch von übermäßig angelegten Körperfettreserven auf die Tiergesundheit beschrieben und Konditionsempfehlungen für mehrlaktierende Kühe ausführlich formuliert. Umfassende Studien mit hochtragenden Färsen liegen jedoch nur in begrenzter Anzahl vor.
Zielstellung:
Vor diesem Hintergrund wurde in einer Beobachtungstudie der Einfluss der Körperkondition von hochtragenden Färsen auf den Geburtsverlauf, die Kälbergeburtsmasse, die Menge und Qualität an Erstkolostrum sowie die Milchleistung, Fruchtbarkeit, Krankheitshäufigkeit und Abgangsrate in der ersten Laktation untersucht. Anhand der Ergebnisse sollen die Empfehlungen zur Körperkondition von hochtragenden Färsen in Hinblick auf die verschiedenen Leistungs- und Gesundheitsparameter abgeleitet und optimiert werden.
Datenerhebung:
Die Datenerhebung erfolgte an 646 hochtragenden Färsen der Rasse Holstein-Friesian (Ø EKA 22 Mon). Ab dem 259. Trächtigkeitstag wurden unter 24-stündiger Überwachung der Abkalbung der Geburtsverlauf und das Geburtsgewicht der Kälber dokumentiert. Die Konditionsbeurteilung mittels ultrasonografischer Messung der RFD wurde an den Tagen der Einstallung in den Transitstall (RFD_vp), der Kalbung (RFD_p), der Umstallung in die Hochleistungsgruppe (RFD_a) und sechs Wochen p.p. (RFD_6Wo) durchgeführt. Zu den Zeitpunkten null, ein und sieben Tage p.p. wurden Blutproben aus der V. coccygea gewonnen und die Serumkonzentrationen an Kalzium (Ca), Phosphat (P), freien Fettsäuren (NEFA) und β-Hydroxybutyrat (BHB) bestimmt. Unmittelbar nach der Abkalbung erfolgte die Messung der Erstkolostrummenge sowie die Ermittlung des Immunglobulingehaltes (Brix-Refraktometer-Methode). Die Milchmengenleistungen (ML) der ersten sieben Laktationstage, jene an Tag 14 sowie die 100-Tage- und 305-Tage-Milchleistung einschließlich des Peak-Tages und der Peak-Mengenleistung wurden erfasst. Als Fruchtbarkeitskennzahlen fanden Rastzeit (RZ), Güstzeit (GZ), Anzahl der Besamungen (nB), Erstbesamungserfolg, Besamungsindex, Trächtigkeitsindex und die Konzeptionsrate Berücksichtigung. Zur Bewertung der Tiergesundheit diente die Inzidenz an Erkrankungen in den ersten 150 Laktationstagen sowie die Abgangsrate der Jungkühe in der ersten Laktation. Zusätzlich wurden die Serumkonzentrationen von Ca, P, NEFA und BHB ausgewertet. Die ermittelten Daten wurden den jeweiligen RFD-Werten gegenübergestellt und mit Hilfe der bivariaten Korrelationsanalyse, der Varianzanalyse und der linearen Regressionsanalyse ausgewertet und auf signifikante Zusammenhänge (p < 0,05) überprüft.
Ergebnisse:
Die durchschnittliche RFD der Färsen liegt zu Untersuchungsbeginn bei 14,6 mm ± 3,45 mm. Bis zur letzten Messung sechs Wochen p.p. ist die RFD auf 9,4 ± 2,84 mm abgesunken. Der RFD-Abbau im gesamten Untersuchungszeitraum beträgt 5,1 ± 3,24 mm bzw. umgerechnet ca. 25,5 ± 16,2 kg Fett.
1. Einfluss der Körperkondition auf den Geburtsverlauf
Die ermittelte Schwer- und Totgeburtenrate der Färsen beträgt 14,9 % bzw. 10,5 %, wobei beide Größen bei Bullenkälbern doppelt so hoch ausfallen wie bei Färsenkälbern. In Bezug auf den Kalbeverlauf und die Inzidenz von Schwer- und Totgeburten sind keine signifikanten Einflüsse der maternalen RFD, weder zu Beginn der Vorbereitungsperiode noch zum Zeitpunkt der Kalbung, ersichtlich. Auch die antepartale Änderung der maternalen Körperkondition steht in keinem signifikanten Zusammenhang.
2. Einfluss der Körperkondition auf die Kälbergeburtsmasse
Das durchschnittliche Geburtsgewicht von Bullen- (42,7 ± 4,9 kg) und Färsenkälbern (40,1 ± 4,2 kg) unterscheidet sich signifikant, jenes von lebend- (41,6 ± 6,3 kg) und totgeborenen (41,3 ± 4,5 kg) Kälbern nicht. Das Geburtsgewicht der Bullenkälber korreliert signifikant positiv mit der maternalen RFD zu Beginn der Vorbereitungsperiode. Je zusätzlichem mm RFD der Mutter nimmt die Geburtsmasse der Bullenkälber linear um 0,1 kg zu (R2 = 0,019, p = 0,024). Die schwersten Bullenkälber werden bei Müttern mit einer RFD von 15 mm bis 20 mm beobachtet.
3. Einfluss der Körperkondition auf die Kolostrumqualität und -menge
Die mittlere Kolostrummenge der Erstlaktierenden beträgt 4,2 kg, der mittlere Gehalt an Immunglobulin G liegt bei 65,9 g/ l. Die antepartale Kondition der hochtragenden Färsen steht in einem signifikant positiven Zusammenhang zur Menge an Erstkolostrum und einem signifikant negativen Zusammenhang zum kolostralen IgG-Gehalt. Je mm zusätzlicher RFD kann 0,1 kg mehr Kolostrum gemolken werden (R2 = 0,021, p = 0,001). Je mm zusätzlicher RFD zum Partus sinkt die IgG-Menge um 0,3 g/ l (R2 = 0,090, p = 0,029). Bezogen auf das Gesamtgemelk nimmt die absolute Menge an IgG jedoch mit steigender RFD zu.
4. Einfluss der Körperkondition auf die Fruchtbarkeit
Die ermittelten Werte für die RZ, die GZ und die Besamungsanzahl je Tier betragen im Mittel 63 ± 10 d, 112 ± 92 d und 1,8. Daraus resultieren ein Erstbesamungserfolg von 50,5 %, eine Trächtigkeitsrate von 95,7 % und ein Besamungsindex von 2,2. Zwischen der RFD_6Wo und der RZ bzw. GZ bestehen signifikant negative Korrelationen. Je zusätzlichem mm RFD verkürzt sich die RZ um 0,5 d (R² = 0,022, p = 0,001) und die GZ um 3,5 d (R² = 0,012, p = 0,016). Die Änderung der maternalen RFD im peripartalen Zeitraum hat keinen signifikanten Einfluss auf die RZ und GZ, jedoch auf die Anzahl an Besamungen. Tiere mit einer geringen Lipolyse in der Vorbereitungsperiode (-0,5 ± 2,69 mm) und vom Partus bis zur Ausstallung (≤ -1,3 ± 2,97 mm) benötigen signifikant weniger Besamungen.
5. Einfluss der Körperkondition auf die Milchleistung
Die durchschnittliche 100-d- bzw. 305-d-ML beträgt 2686 ± 627,1 kg bzw. 7770 ± 1077,6 kg mit einer mittleren Peakleistung von 33,3 ± 6,4 kg am 92. Laktationstag. Die 100-d-ML korreliert signifikant positiv mit den Fettreserven zu Beginn der Vorbereitungsperiode, die 305-d-Milchleistung signifikant positiv mit jenen zum Partus. Erstere steigt je mm RFD um 23,8 kg (R2 = 0,019; p < 0,001). Die höchste 100-d-ML bzw. 305-d-ML wird bei einer RFD_p im Bereich von 15 mm bis 20 mm bzw. 16 mm bis 18 mm ermittelt. Ebenso besteht eine signifikante Korrelation zwischen der maternalen RFD und dem Milchleistungspeak. Je mm zusätzliche RFD_vp bzw. RFD_p steigt die höchste Milchleistung um 0,3 kg (R² = 0,034, p < 0,001) bzw. 0,2 kg (R² = 0,013, p = 0,006). Die Entwicklung der RFD nach der zweiten Laktationswoche wirkt sich signifikant auf die 100-d-ML aus. Diese ist umso höher, je mehr Fett die Tiere in der Frühlaktation einschmelzen (R² = 0,090, p < 0,001).
6. Einfluss der Körperkondition auf die Erkrankungsinzidenz und Abgangsrate
Bis zum 150. Laktationstag kann bei insgesamt 392 von 646 Erstlaktierenden (60,3 %) eine Erkrankung diagnostiziert werden. Die Prävalenzen für NGV, Metritis, Ketose, Mastitis und Klauenerkrankungen betragen 5,1 %, 24,6 %, 1,6 %, 7,6 % und 30,2 %. 14,4 % der Tiere (n = 86) haben die zweite Laktation nicht erreicht. Ein Zusammenhang zur Körperkondition besteht nicht. Kranke Tiere sind signifikant dünner als gesunde Tiere. Mit steigender RFD_p nimmt der Anteil an kranken Tieren signifikant ab. Die Medianwerte für Kalzium, Phosphat, NEFA und BHB liegen auf Herdenebene innerhalb der jeweils angegebenen Referenzbereiche. Bis auf eine signifikant höhere RFD bei Erstkalbinnen mit erhöhten NEFA-Werten bestehen keine signifikanten Beziehungen zur RFD. Zudem ist die postpartale Lipomobilisation bei kranken und abgegangenen Tieren von geringerer Intensität.
Schlussfolgerung:
Die Ergebnisse verdeutlichen den grundlegenden Einfluss von Körperfettreserven auf verschiedene Leistungs-, Fruchtbarkeits- und Gesundheitsparameter und unterstützen die Festlegung des Optimalbereiches für die Körperkondition von hochtragenden Färsen zur Kalbung auf den Bereich zwischen 15 mm und 20 (bis 25) mm RFD. Eine Unterschreitung des empfohlenen Bereichs wirkt sich negativ auf das Fruchtbarkeitsgeschehen und die Milchleistung aus. Die Folgen einer Überschreitung können anhand des vorliegenden Datenmaterials nicht ausreichend beurteilt werden.