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Fachbereich Veterinärmedizin


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    Vergleichende Untersuchungen zweier Putenlinien Wildputen und BUT-BIG6 mittels computertomographischer Aufnahmen (2014)

    Art
    Hochschulschrift
    Autor
    Großkurth, Daniel (WE 15)
    Quelle
    Berlin: Mensch und Buch Verlag, 2014 — 113 Seiten
    ISBN: 978-3-86387-520-6
    Verweise
    URL (Volltext): https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/9588
    Kontakt
    Nutztierklinik: Abteilung Geflügel

    Königsweg 63
    14163 Berlin
    +49 30 838 62676
    gefluegelkrankheiten@vetmed.fu-berlin.de

    Abstract / Zusammenfassung

    Züchterische Ziele und Aspekte des Tierschutzes sind nicht immer in Einklang zu bringen. Natürlich sollten aus moralischen und rechtlichen Gründen Fragen des Tierschutzes immer vorrangig behandelt und mit höherer Priorität bedacht werden. Gerade auf dem Gebiet der Putenmast und –zucht sind in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht worden, um den Bedarf und Wunsch der Konsumenten nach mehr Putenfleischprodukten zu einem möglichst günstigen Preis befriedigen zu können. Im züchterischen Fokus lagen hierbei eine schnellere und größere Lebendmassezunahme mit möglichst geringerem Futteraufwand und die gleichzeitige Herausbildung wirtschaftlich besonders interessanter Fleischteile wie der Brustmuskulatur. Das gehäufte Auftreten v.a. von Geflügel- bzw. Putenmast-spezifischen Erkrankungen (z.B. „Beinschwäche- Syndrom“, Herz-Kreislauf- Erkrankungen) und deren Förderungen durch die züchterischen Veränderungen wurde lange nicht ausreichend bedacht oder untersucht. Erst in den letzten Jahren erfolgte mit der Anhebung der Stellung des Tierschutzes und des „animal welfare“ ein Umdenken. Diese Arbeit soll durch den Vergleich einer züchterisch noch kaum beeinflussten Wildputen- Linie und der modernen Hochleistungsmastlinie BUT-BIG6 mittels computertomographischer Aufnahmen ihren Teil dazu beitragen, um durch die Zucht hervorgerufene Veränderungen und ihren möglichen Einfluss auf tierschutzrelevante Erkrankungskomplexe näher zu beschreiben. Dazu wurden aus jeder Tiergruppe dieselben 5 männlichen Individuen zu 7 Zeitpunkten (2., 6., 10., 12., 14., 16. und 20. LW) innerhalb der ersten 20 Lebenswochen computertomographisch untersucht. Neben geometrischen Organmaßen wurde mittels Kontrastmitteluntersuchungen auch die Durchblutung verschiedener Organsysteme ermittelt. Erwartungsgemäß waren die BUT-BIG6-Tiere (16,0kg ± 0,71kg) am Ende des Untersuchungszeitraumes deutlich schwerer als die Wildputen (5,1kg ± 0,12kg). Eine deutlich erhöhte Gewichtszunahme der Masttiere im Vergleich zur Wildlinie war dabei v.a. in den letzten 6 Wochen des Untersuchungszeitraumes zu erkennen. Ähnlich starke Unterschiede ergaben sich bei der Betrachtung des Brustmuskelvolumens BMV. Auch hier lagen die Ergebnisse der BUT-BIG6-Tiere (5649cm³ ± 1177cm³) am Untersuchungsende deutlich über denen der Wildputen (2229cm³ ± 574cm³). Analog zum Lebendgewicht LG fand bei den Masttieren ab der 14. LW eine verstärkte Zunahme des Brustmuskelvolumens statt. Da kein anderes Organsystem oder die langen Röhrenknochen ab der 14. LW ähnlich starke Wachstumstendenzen aufwiesen, ist die massive Lebendgewichtszunahme der BUT- BIG6-Tiere zum Ende einer Mastperiode hauptsächlich durch die Zunahme des Brustmuskelvolumens bedingt. Diese Volumenzunahme ist v.a. durch eine extreme Steigerung der Brustmuskeldicke BMD gekennzeichnet (Wildputen BMD20.LW 33mm ± 3mm, BUT-BIG6 BMD20.LW 65mm ± 7mm). Eine zu erwartende Anpassung versorgender (Herz) und tragender Strukturen (Femur, Tibiotarsus, Sternum) an diese erhöhten Anforderungen scheint zwar zu erfolgen, aber jedoch nicht ausreichend zu sein. So ist trotz Steigerung des absoluten Herzvolumens HV der BUTBIG6- Tiere (HV20.LW 133cm³ ± 13cm³) im Vergleich zu den Wildputen (HV20.LW 82cm³ ± 8cm³) das Verhältnis LG/HV und BMV/HV zwischen beiden Gruppen v.a. in der 16. LW hochsignifikant schlechter für die Masttiere als bei der Wildform. Gerade in diesen Mastzeitraum fallen aber auch gehäufte Tierverluste durch Herz- Kreislauf-Erkrankungen. Parameter zur objektiven Beurteilung der Herzgröße wie das Verhältnis Herzbreite HB/Thoraxbreite THB (Wildputen Ø61% ± 4%, BUT-BIG6 Ø58% ± 6%) und Herzbreite HB/Sternumlänge SL (Wildputen Ø28% ± 3%, BUT-BIG6 Ø28% ± 2%) ergeben keine Unterschiede zwischen den Gruppen, die auf eine entsprechend ausreichende Herzanpassung der BUT-BIG6-Tiere hinweisen. Verstärkt wird diese These der ungenügenden Anpassung an die gestiegenen körperlichen Anforderungen auch durch die Betrachtung der Lungenkapazität. Zwar vergrößert sich auch hier das Gesamtlungenvolumen GLV der BUT-BIG6-Tiere (GLV20.LW 458cm³ ± 68cm³) im Vergleich zu den Wildputen (GLV20.LW 268cm³ ± 22cm³), doch liegen auch hier v.a. im letzten Drittel des Untersuchungszeitraumes z.T. hochsignifikant schlechtere Verhältnisse LG/GLV, HV/GLV und BMV/GLV für die moderne Mastlinie vor. Die tragenden Knochen des Beinskelettes Femur und Tibiotarsus erreichen bei den BUTBIG6- Puten (Femur20.LW 143mm ± 8mm, Tibiotarsus20.LW 227mm ± 10mm) zwar absolut höhere Längenwerte als bei den Wildputen (Femur20.LW 129mm ± 2mm, Tibiotarsus20.LW 207mm ± 3mm), jedoch liegt die Wachstumsrate WR der Wildputen für beide langen Röhrenknochen gerade im letzten Drittel des Untersuchungszeitraumes über denen der Masttiere. Da gerade jedoch in diesem Zeitabschnitt die größte Lebendgewichtszunahme und Steigerung des Brustmuskelvolumens mit gleichzeitiger Verlagerung des Körperschwerpunktes nach vorne erfolgt, ist die Anpassung der Masttiere an diese verstärkte Anforderung als nicht ausreichend zu bewerten. Dieser Fakt ist entscheidend für das gehäufte Auftreten von Erkrankungen des Beinskelettes im letzten Mastdrittel, die unter dem Begriff „Beinschwäche-Syndrom“ zusammengefasst werden. Das Sternum als der tragende aber auch starr begrenzende Knochen der Brustmuskulatur erreicht in der 20. LW nur eine um das 1,3fache höhere absolute Länge bei den BUT-BIG6- Tieren (251,6mm ± 42,3mm) als bei den Wildputen (191,4mm ± 9,6mm). Dies führt beim gleichzeitigen Anstieg des Brustmuskelvolumens BMV um das 2,5fache zur der bereits erwähnten massiven Zunahme der Brustmuskeldicke BMD. Dadurch wird der Druck auf die Brustmuskulatur verstärkt und fördert vermutlich in Verbindung mit weiteren Faktoren wie z. B. Handling der Tiere die Zunahme der Fälle von Pektoral-Myopathie aufgrund mangelnder Durchblutung. Gerade bei der Betrachtung der Durchblutung mittels Kontrastmittelapplikation und anschließender Dichtemessung und deren Änderung im Laufe des Untersuchungszeitraumes konnten große Unterschiede zwischen den beiden Tiergruppen aufgezeigt werden. Bis auf die Messung in der Leber ließen die nativen Dichten der anderen untersuchten Organe (Brustmuskulatur, Herz, Milz, Niere) keine Gruppenunterschiede erkennen. Direkt nach intravenöser Applikation des Kontrastmittels stieg die gemessene Organdichte bei den Wildputen jedoch stärker an als bei den BUT-BIG6-Tieren. Dies lässt Rückschlüsse auf eine effektivere und schnellere Verteilung des Kontrastmittels mit dem Blutstrom zu. Das Herz als treibende Pumpe scheint somit bei den Wildtieren eine höhere Leistung zu erzielen. Nach Verteilung des Kontrastmittels zeigen die Wildputen und die BUT-BIG6-Tiere ähnliche Werte in der Scan-Serie HE3 für die Brustmuskulatur. Dies legt eine ähnliche Kapillardichte nah, die jedoch bei den Masttieren wesentlich mehr Muskulatur und größere Muskelfaserdurchmesser zu versorgen hat. Aufgrund dieser längeren Diffusionsdistanzen ist eine unzureichende Versorgung der Muskulatur mit Sauerstoff und Nährstoffen gerade bei vermehrten Belastungen möglich. Die Durchblutung der Leber in der Scan-Serie HE3 ist ab der 12. LW bei den BUTBIG6- Tieren deutlich stärker, was als Ausdruck verstärkter anaboler Prozesse zu werten ist. Für die Messungen in der Milz konnten in der Scan- Serie HE3 keine Gruppenunterschiede festgestellt werden, so dass eine ähnliche Durchblutung anzunehmen ist. Im Gegensatz dazu scheint die Durchblutung der Niere bei den Wildputen deutlich stärker zu erfolgen, was sich in großen Dichteunterschieden widerspiegelt (Wildputen HE3 132,3HE ± 62,2HE, BUTBIG6 99,0HE ± 13,3HE). Auffällig ist jedoch für alle betrachteten Organe der Wildputen eine größere Differenz der Dichtewerte zwischen den Scan-Serien HE2 und HE3, was wiederum auf eine effektivere und schnellere Verteilung des Kontrastmittels durch das Herz schließen lässt. Diese Ergebnisse in Verbindung mit den einzelnen Parametern wie Lebendgewicht LG, Brustmuskelvolumen BMV, Herzvolumen HV und Leber-Milz-Volumen LMV sowie den daraus errechneten Verhältnissen lassen jedoch den Schluss zu, dass die anatomischen und physiologischen Anpassungen der modernen Mastputenlinie BUT-BIG6 an die züchterisch gewollten Veränderungen v.a. in der 2. Masthälfte nicht ausreichen. Dadurch werden Erkrankungen sowohl des Herz-Kreislauf-Systems als auch des Skelettsystems gefördert, die bei den Masttieren unnötige Schmerzen und Leiden hervorrufen. Daher sollten aus moralischen und tierschutzrechtlichen Gründen diese Ergebnisse in die Erstellung neuer Zuchtziele und –kriterien mit aufgenommen werden, um der Verantwortung des Menschen für das Wohlergehen der von ihm genutzten Tiere gerecht zu werden.