Robert-von-Ostertag-Str. 7-13
14163 Berlin
+49 30 838 51843 / 66949
mikrobiologie@vetmed.fu-berlin.de
Männliche Wisente (Bison bonasus) im Waldgebiet von Białowieża in Polen und Weißrussland leiden seit den 1960er (Weißrussland) bzw. 1980er Jahren (Polen) unter der Balanoposthitis, einer chronisch-nekrotisierenden Entzündung des Präputiums und des Penis, die etwa 6,4% der Bullen in Polen betrifft. Die Ätiologie dieser Erkrankung ist nicht bekannt. Es wird jedoch vermutet, dass zwei Gram-positive Bakterien der Gattung Trueperella, T. bonasi und T. bialowiezensis, eine entscheidende Rolle bei der Pathogenese spielen, da sie bereits in frühen Stadien der Erkrankung nachgewiesen wurden und bei gesunden Tieren nicht vorkommen. Um diese Idee zu überprüfen, wurde in der vorliegenden Arbeit nach möglichen Virulenzfaktoren bei T. bonasi DSM 17163 und T. bialowiezensis DSM 17162 gesucht: Neuraminidasen, Hämolysin, Phospholipase D und DNAsen. Hierbei dienten die nahe verwandten human- und tierpathogenen Schleimhaut- und Weichteilinfektionserreger T. pyogenes (DSM 20630) und A. haemolyticum (DSM 20595) als Vergleichsorganismen. Der MUAN-Filterpapier-Test zum Nachweis von Neuraminidasen ergab für beide Bakterienarten ein positives Ergebnis. Bei der Untersuchung der mit dieser Arbeit zum ersten Mal erstellten genomischen Bibliotheken wurden jedoch nur in der T. bonasi-Bibliothek Neuraminidasepositive Cosmidklone gefunden. Dies spricht dafür, dass die T. bialowiezensis-Cosmidbibliothek trotz großer Einzelklonanzahl (8x10³ Klone mit durchschnittlichen Insertlängen von 32.500 bp) nicht das vollständige Genom von T. bialowiezensis DSM 17162 abdeckt. Um die Größe der Neuraminidase-Domain zu bestimmen, wurden die Inserts der Neuraminidase-positiven T. bonasi- Cosmidklone nach Extraktion mit Hilfe von Restriktionsendonukleasen verdaut, in einen Plasmidvektor subkloniert und erneut auf Neuraminidase-Aktivität geprüft. Mittels „primer walking“-Technik wurde der Neuraminidase-positive Plasmid-Klon bon/cos6A/pJET4A sequenziert. Auf dessen Insert befanden sich zwei Gene – zum einen ein 3.312 bp langes Gen, welches die Neuraminidase- Aktivität kodierte und zum anderen ein 1.161 bp langes Gen („bon-UPF“), das für ein Protein mit dem Molekulargewicht von 98.480 kodierte (T. bonasi-„UPF- ähnliches“ Protein) und aufgrund von SequenzÄhnlichkeiten in die Familie der „UPF0027/RtcB“-Proteine, also RNA-Ligasen bzw. der „Hint-Superfamilie“ (Hint = Hedgehog intein domain) eingeordnet wurde und sich in weiteren Subklonierungstests als nicht essentiell für die Neuraminidase-Aktivität erwies. Die Aminosäure (AS)-Sequenz der T. bonasi-Neuraminidase enthält, wie die aller bakteriellen Neuraminidasen, die konservierte RIP/RLP-Sequenz (Arg- Ile/Leu-Pro) sowie fünf Ausführungen des ASP-Box-Motives (Ser-X-Asp-X-Gly-X -Thr-Trp), von denen zwei bis fünf Ausführungen erwartet worden wären. Das Protein hat ein Molekulargewicht von 273.309. Die Sequenz der T. bonasi- Neuraminidase weist die größte Ähnlichkeit zur T. pyogenes-Neuraminidase NanH auf (44% Nukleotidsequenz-Übereinstimmung und 59% Aminosäuresequenz- Übereinstimmung), weshalb der Name „T. bonasi-Neuraminidase NanH“ vorgeschlagen wird. Viele bakterielle Neuraminidasen, so auch T. pyogenes NanH, sind als Virulenzfaktoren von Bedeutung und spielen bei der initialen Schädigung der Schleimhautoberfläche und dem somit erleichterten Anhaften der Bakterien an Wirtszellen eine Rolle. So wird vermutet, dass auch T. bonasi- Neuraminidase NanH ein Virulenzfaktor ist, der T. pyogenes NanH ähnliche Funktionen hat; dies sollte jedoch in zukünftigen Untersuchungen geklärt werden. Obwohl T. bonasi DSM 17163 und T. bialowiezensis DSM 17162 auf Schafblut-Agarplatten eine feine Hämolysezone um die Kolonien ausbildeten, erbrachten die in dieser Arbeit eingesetzten Tests (Hämolysintest, unterschiedliche PCR-Verfahren, DotBlot- und Southern Blot-Hybridisierungen, Screening der genomischen Cosmidbibliotheken auf Wisent- und anderen Tierblutagarplatten) keine Hinweise auf das Vorhandensein eines Hämolysins aus der Familie der MACPFs/CDCs („Membrane attack complex/Perforin- Family“/„Cholesterol dependent Cytolysins“). Tests auf Vorhandensein von Phospholipase D oder einer extrazellulären DNAse verliefen gleichfalls negativ. Auf Grundlage der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit wird eine komplette Sequenzierung der Genome von T. bonasi und T. bialowiezensis für sinnvoll erachtet, da mit dieser Methode auch Virulenzfaktoren identifiziert werden könnten, die keinen bekannten Virulenzfaktoren verwandter Bakterien gleichen, beispielsweise ein neuartiges Hämolysin, das nicht zur MACPF/CDC- Superfamilie gehört. Bis dahin kann eine eindeutige Aussage zur Pathogenität der Bakterien als Auslöser der Balanoposthitis beim Wisent nicht getroffen werden.