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Berlin/Kiel (dpa/tmn) - Frische, unbehandelte Milch direkt vom Bauern - das ist für viele Menschen eine Erinnerung an die Kindheit und verspricht einen Hauch von Landleben. Doch Roh- und Vorzugsmilch birgt gesundheitliche Risiken.
Ein Glas frisch gemolkene Kuh-Milch, der intensive, sahnig-süße bis nussige Geschmack, das cremige Gefühl - für viele Verbraucher ist das der Inbegriff von natürlichem Genuss. Doch genau die Natürlichkeit bringt erhebliche gesundheitliche Risiken mit sich. «Bei gesunden Tieren ist die Milch an sich keimarm. Doch beim Prozess des Melkens ist es immer möglich, dass Keime aus der Stallumgebung in die Milch gelangen», erklärt Wolf-Rüdiger Stenzel, Professor für Veterinärmedizin am Institut für Lebensmittelhygiene der Freien Universität Berlin.
«Eine Kuh scheidet am Tag rund einen Zentner Kot aus. Dabei wird oftmals auch das Euter kontaminiert», sagt Philipp Hammer vom Institut für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch in Kiel. «Auf diesem Wege können dann Bakterien wie der Escherichia-coli-Stamm EHEC oder auch Campylobacter-Bakterien in die Milch gelangen.» Durch gründliches Reinigen der Melkgeräte und durch Sauberkeit im Stall wird das Risiko reduziert. Doch sterile Bedingungen können nicht geschaffen werden.
«Bakterien werden durch Erhitzen abgetötet», betont Juliane Bräunig vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin. Deshalb gibt es ein gesetzliches Wärmebehandlungsgebot: Milch, die an den Verbraucher abgegeben wird, muss pasteurisiert oder in anderer Form hitzebehandelt sein. Das gilt allerdings nicht für Rohmilch ab Hof und für Vorzugsmilch. Die Erzeuger dieser beiden Kategorien müssen aber besondere Anforderungen erfüllen.
Die Abgabe von Rohmilch ab Hof ist anzeigepflichtig. Der Erzeuger muss sichtbar schriftlich darauf hinweisen, dass die Milch vor dem Verzehr abzukochen ist. Noch strenger sind die Vorgaben für Vorzugsmilch, also Rohmilch, die nach dem Melken gefiltert, gekühlt und dann abgefüllt wird. Der Erzeugerbetrieb benötigt eine Zulassung durch das Veterinäramt und wird regelmäßig kontrolliert.
«In Milch, die nicht wärmebehandelt wurde, sondern roh getrunken wird, können Keime überleben», warnt BfR-Expertin Bräunig. Gesunden Erwachsenen können diese Keime außer Durchfall in der Regel wenig anhaben. Doch für Risikogruppen kann Rohmilch gefährlich werden: «Dazu zählen Kinder, alte und immunschwache Personen», fasst Hammer zusammen. Auch Schwangere sind gefährdet. «Die Krankheitserreger können Magen-Darm-Probleme, Erbrechen, Durchfall mit Fieber und Kreislaufbeschwerden, in schweren Fällen auch blutigen Durchfall und Nierenversagen verursachen», sagt Bräunig.
Das BfR empfiehlt den Risikogruppen, generell auf den Konsum von Rohmilch ab Hof und von Vorzugsmilch zu verzichten. Wer ihr nicht entsagen mag, kann die Rohmilch vor dem Verzehr abkochen. «Entgegen allen Gerüchten: Durch die Wärmebehandlung der Kuh-Milch wird ihr Gehalt an wertvollen Inhaltsstoffen, vor allem an Mineralstoffen, nicht reduziert», betont Stenzel. Nur der Gehalt an wärmeempfindlichen Inhaltsstoffen wie Vitamin C werde geringfügig verändert und es bilde sich der Kochgeschmack.
Marktanteil und Sonderfall Listerien
Rohmilch und Vorzugsmilch spielen auf dem Markt insgesamt eine untergeordnete Rolle. «Wir haben in Deutschland rund 100 000 Milcherzeuger. Von ihnen produzieren etwa 80 - also ein sehr geringer Teil - Vorzugsmilch», sagt Philipp Hammer vom Institut für Sicherheit und Qualität bei Milch und Fisch in Kiel. Zu den Betrieben, die Rohmilch ab Hof verkaufen, gebe es keine Schätzungen.
Rohmilchkäse kann - genau wie Käse aus pasteurisierter Milch - von Listerien-Bakterien besiedelt werden, die dann Listeriose verursachen können. Sie verläuft meist ähnlich wie ein grippaler Infekt. Aber: «Listerien können bei Säuglingen, älteren oder immunschwachen Menschen Fieber, Übelkeit, Gelenkschmerzen, aber auch eine Form der Hirnhautentzündung hervorrufen und bei Schwangeren eine Fehl- oder Totgeburt auslösen», sagt der Milch-Experte Philipp Hammer aus Kiel. Die Listerien finden sich vorrangig auf der Rinde. «Auch wenn Gourmets hier widersprechen werden: Das Abschneiden der Rinde verringert das Infektionsrisiko.»