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Die Steigerung der Milchleistung in allen Ländern mit intensiver Milchkuhhaltung hat zu einer Zunahme von Erkrankungen und zu einer Abnahme der Fruchtbarkeit geführt. Als Konsequenz ergab sich eine Erhöhung der Abgangsraten und somit eine Verringerung der Nutzungsdauer, so dass sich die Lebensleistung der Kühe kaum verändert hat. Die sehr unterschiedlichen Erkrankungen wie z. B. Hypocalcämie, Labmagenverlagerung, Ketose, Nachgeburtsverhalten, Fruchtbarkeitsstörungen unterschiedlicher Art oder Mastitis sind auf viele Faktoren wie beispielsweise unzureichende Haltungsbedingungen oder Fütterungs- und Managementfehler zurückzuführen. Ein wichtiger Faktor, der offensichtlich direkt oder indirekt die Gesundheit der Tiere gefährden kann, ist die negative Energiebilanz in den ersten Monaten der Laktation, die bei Kühen mit einer höheren Leistung in der Regel starker ausgeprägt auftritt. Dies ist mit negativen Auswirkungen für die Tiergesundheit und die Fruchtbarkeit verbunden. In der vorliegenden Studie wurde eine konventionelle Hochleistungsmilchviehherde bezüglich des Auftretens und der Ausprägung der NEB charakterisiert und deren Auswirkungen auf die Tiergesundheit und die Fruchtbarkeit untersucht. In den Versuch wurden 341 Tiere einbezogen, 211 Kühe und 130 Färsen. Zur Ermittlung der NEB wurde die Rückenfettdicke am 8. Tag a.p. sowie am 3., 28., 56., 84., 112., 140. Und 168. Tag p.p. gemessen und die Blutkonzentrationen an NEFA und BHBS am 8. Tag a.p. und am 3., 28., 56., 84., 112., 140. und 168. Tag p.p. bestimmt. Die Milchleistung wurde täglich von der Kalbung bis zum 168. Tag der Laktation ermittelt. Die Inzidenz der Krankheitskomplexe Labmagenverlagerung, Mastitis, Nachgeburtsverhaltung und Hypocalcämie und die Fruchtbarkeitskennzahlen Erstbesamungserfolg, Besamungsindex, Trächtigkeitsindex, Zwischentragezeit und Prozentzahl der Tiere mit einer Zwischentragezeit von weniger als 115 Tagen wurden in diesem Zeitraum erfasst. Zur Einschätzung der Auswirkungen einer unterschiedlich stark ausgeprägten NEB auf die Tiergesundheit und die Fruchtbarkeit wurde die Gesamtheit der Kühe entsprechend der Mobilisation von Rückenfett zwischen dem 3. und dem 84. Tag p.p. in die drei Gruppen der Hochmobilisierer, der Mittelmobilisierer und der Niedrigmobilisierer aufgeteilt. Ferner wurden die Kühe der Gruppe der Niedrigmobilisierer entsprechend ihrer Milchleistung in eine Gruppe der Niedrigmobilisierer mit hoher Leistung und der Niedrigmobilisierer mit niedriger Leistung aufgeteilt. Die Untersuchungen führten zu folgenden Ergebnissen: \- Bei der Betrachtung der postpartalen Konditionsentwicklung aller Kühe und Färsen wurde eine intensive und langanhaltende Mobilisation von Körperfett festgestellt (> 112 Tage). \- Die Fruchtbarkeitsparameter sind sowohl bei den Kühen als auch bei den Färsen unbefriedigend. Das Auftreten von Mastitiden und von Hypocalcämie ist überdurchschnittlich hoch. \- Kühe, die entsprechend der Abnahme der Rückenfettdicke mehr Eigenreserven mobilisieren, weisen eine höhere Milchleistung auf als Kühe, die wenig mobilisieren. \- Die durchschnittlichen NEFA- und BHBS-Konzentrationen sind peripartal bei den Hochmobilisierern am höchsten und bei den Niedrigmobilisierern am niedrigsten. \- Die Fruchtbarkeitsparameter sind in der Gruppe mit hoher Mobilisation schlechter als in der Gruppe mit niedriger Mobilisation. Ein signifikanter Unterschied lässt sich bei der Zwischentragezeit feststellen. Die Tiergesundheit lässt einen entsprechenden Trend nur beim Krankheitskomplex Hypocalcämie erkennen. \- Beim Vergleich der Hochmobilisierer mit den Niedrigmobilisierern mit hoher bzw. niedriger Leistung zeigt sich, dass die Hochmobilisierer und die Niedrigmobilisierer mit hoher Leistung in den ersten 168 Tagen der Laktation eine ähnlich hohe Milchleistung haben. Die Niedrigmobilisierer mit hoher Leistung haben gleichzeitig bessere Fruchtbarkeitsergebnisse und eine niedrigere Erkrankungsrate im Bereich der Hypocalcämie im Vergleich zu den Kühen mit hoher Mobilisation. Die in der vorliegenden Studie ermittelten Ergebnisse bestätigen Angaben aus der Literatur, in denen wiederholt auf die reziproke Beziehung zwischen hoher Leistung und der Tiergesundheit hingewiesen wurde. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass es in der Gesamtpopulation eine Gruppe von Kühen gibt, die eine hohe Milchleistung mit einer weniger stark ausgeprägten NEB und besseren Fruchtbarkeitsergebnissen verbinden kann. Als mögliche Ursache ist eine höhere Futteraufnahme und/oder bessere Futterverwertung (Effizienz) dieser Tiere anzunehmen. Die phänotypische Charakterisierung dieser Tiere eröffnet die Option, die genetischen Grundlagen dieses Leistungsvermögens zu beschreiben, um für die Tierzucht neben den Leistungskriterien auch weitere für die Tiergesundheit wichtige Parameter zu erfassen. Diese Erweiterung der Zuchtziele könnte zu einer Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Milchviehhaltung fuhren und gleichzeitig das Wohlbefinden der Tiere verbessern.