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Fast immer erzeugt eine Kolik der trächtigen Stute nicht nur Sorge um die Stute, sondern auch um die Frucht. Die Fohlenraten für Stuten, die während der Trächtigkeit wegen Kolik behandelt werden mussten, schwankten in verschiedenen Studien zwischen 53,8 und 80 % (BOENING u. LEENDERTSE, 1993; CHENIER u. WHITEHEAD, 2009; SANTSCHI et al., 1991). Die augenscheinlichste Erkenntnis war, dass Stuten, welchen konservativ geholfen werden konnte, eine niedrigere Abortrate als Stuten nach Operationen hatten. Verschiedene mögliche Einflussfaktoren auf das embryonale bzw. fetale Überleben wurden in diesen Studien untersucht, deren Ergebnisse hinsichtlich des Einflusses von Narkosedauer, Endotoxämiezeichen, intraoperativer Hypoxämie und intraoperativer Hypotension inkonsistent sind. In der vorliegenden Studie sollten anhand der retrospektiven Betrachtung einer homogenen Population trächtiger, wegen Kolik operierter Stuten die Fohlenraten und Einflussfaktoren auf den Zuchterfolg untersucht werden.
Die Patientendatenbank des Rood and Riddle Equine Hosptial in Lexington, Kentucky, USA wurde nach Vollblutstuten im Alter von drei Jahren und älter, die in dem Zeitraum von 1997- 2007 wegen Kolik operiert worden sind, durchsucht. Stuten wurden in die Studie eingeschlossen, wenn aus den Patientenaufzeichnungen hervorging, dass sie zum Zeitpunkt der Operation tragend waren oder innerhalb der letzten 15 Tage vor der Operation bedeckt wurden. Stuten wurden aus der Studie ausgeschlossen, wenn sie nicht beim North American Jockey Club (Lexington, Kentucky, USA) registriert waren oder wenn sie nicht bis zur Entlassung aus der Klinik überlebten.
Folgende Daten wurden aus der Patientenakte erhoben: Alter der Stute, Datum der Operation, Gestationsalter zum Zeitpunkt der Operation, Dauer der Kolik bei Klinikaufnahme, Hämatokrit bei Klinikaufnahme, intraoperative Diagnose, Narkosedauer, intraoperative Hypotension, intraoperative Hypoxämie, Chirurg und Administration von Gestagenen und Polymixin B während des Klinikaufenthalts. Zusätzlich wurden die Patientenakten hinsichtlich objektiver Anzeichen postoperativer Endotoxämie untersucht: Fieber (definiert als rektale Körpertemperatur von ≥38.6°C), Tachykardie (definiert als Herzfrequenz von >48/min), Leukopenie (definiert als weiße Blutzellen <5000/l) und Diarrhoe (definiert als jede Form ungeformten Kots). Informationen zur Geburt eines lebenden Fohlen nach der Kolikoperation, in der Saison vor der Kolikoperation und in der Saison nach der Kolikoperation wurden über den North American Jockey Club in Lexington, Kentucky, USA eingeholt. Als lebende Fohlen wurden nur solche gezählt, die beim North American Jockey Club registriert waren. Kategorisierte Variablen wurden mittels Chi-Quadrat-Test ausgewertet. Für kontinuierliche Variablen wurde eine logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Zusätzlich wurde über stufenweise durchgeführte logistische Regression ein multivariables Modell für die verschiedenen Einflussfaktoren auf die Fohlenrate entwickelt. Odds Ratios mit 95 %-Konfidenz Intervallen wurden errechnet, um den Effekt der verschiedenen Faktoren auf die Fohlenrate abzuschätzen. Das Signifikanzniveau wurde bei p <0,05 festgelegt. Die Stuten mit eine Gestationslänge unter 16 Tagen, bei denen eine Belegung aber keine Trächtigkeit feststand, wurden aus der Hauptanalyse ausgeschlossen.
Von 66,7 % (152/228) der Stuten, bei denen vor der Kolikoperation eine Trächtigkeit bestätigt werden konnte (>15 Tage nach der Bedeckung), wurde ein lebendes Fohlen registriert. Stuten zwischen 16-39 Tage trächtig hatten mit 48,7 % eine signifikant niedrigere Fohlenrate als Stuten ≥40 trächtig, bei denen die Fohlenrate 69,8 % betrug (p = 0,012). Weitere Faktoren, welche die Fohlenrate beeinflussten, waren Alter der Stute (p = 0,001) und Dauer der Kolik vor der Operation (p = 0,03). Es ließ sich ein Trend für Narkosedauer (p = 0,06), intraoperative Hypotension (p = 0,07) und Chirurg (p = 0,06) als Einflussfaktoren auf die Trächtigkeit feststellen. Hämatokrit bei Klinikaufnahme, intraoperative Diagnose, intraoperative Hypoxämie, postoperative Anzeichen von Endotoxämie und Verabreichung von Polymixin B hatten keinen Einfluss auf die Fohlenrate. Die Fohlenrate in der Saison vor der Operation lag bei 76,8 und in der Saison nach der Operation bei 59,2 %. Es gab keinen statistischen Zusammenhang zwischen der postoperativen Fohlenrate und der Geburt eines lebenden Fohlens in der Saison vor bzw. nach der Operation (P = 0,15 bzw. P = 0,77).
Die Fohlenrate nach Kolikoperation ist etwas niedriger als die einer generellen Stutenpopulation im Zentralen Kentucky von 78,3 % (BOSH et al., 2009) und ebenfalls niedriger als die postoperativen Fohlenraten in zwei anderen Studien über Kolik bei trächtigen Stuten mit 80 bzw. 79.5 % (BOENING u. LEENDERTSE, 1993; SANTSCHI et al., 1991). Allerdings wurde in einer aktuelleren Studie eine Fohlenrate von nur 53.8 % für Stuten, die während der Trächtigkeit wegen Kolik operiert wurden festgestellt (CHENIER u. WHITEHEAD, 2009). Unterschiede zwischen den drei zuletzt genannten Studien und der vorliegenden, finden sich in den Einschlusskriterien, der Studienpopulation und der Definition eines lebenden Fohlen. Stuten, die während der ersten 40 Tage nach der Bedeckung wegen Kolik operiert wurden, hatten wesentlich niedrigere Fohlenraten als Stuten, die später während der Trächtigkeit operiert wurden. Die ersten 40 Tage der Trächtigkeit sind ein sensibles Stadium, in welchem die Identifikation und Implantation des Embryos wie auch die Ausbildung der sogenannten endometrial cups stattfindet. Studien zeigen, dass aus 78,5-79,4 % der Tag 15 und 87,1 % der Tag 40 Trächtigkeiten ein lebendes Fohlen entwickelt wird (ALLEN et al., 2007; BOSCH et al., 2009). Während der Unterschied zwischen Tag 15 und Tag 40 Trächtigkeiten in einer generellen Stutenpopulation also etwa 8 % beträgt, liegt der Unterschied zwischen Stuten, die zwischen 16-39 und 40-89 Tagen nach der Bedeckung wegen Kolik operiert wurden, bei etwa 27 %. Auch wenn dies kein ganz exakter Vergleich ist, wird doch deutlich, dass Trächtigkeiten bei Stuten, die zwischen 16-39 Tagen nach der Bedeckung wegen Kolik operiert werden, gefährdeter sind als bei Stuten mit 40 Tagen und mehr nach der Bedeckung. In früheren Studien konnte das Gestationsalter nicht als Einflussfaktor auf die Fohlenrate nach Kolikoperation identifiziert werden.
Ältere Stuten produzierten weniger wahrscheinlich ein lebendes Fohlen als jüngere Stuten, wobei Stuten >15 Jahre eine signifikant niedrigere Fohlenrate als Stuten 15 Jahre und jünger hatten. Diese Erkenntnis lehnt an die Mehrzahl der Studien über Fruchtbarkeit der Stute, in denen das Alter die Konzeption, die Aufrechterhaltung der Trächtigkeit und die Geburt eines lebenden Fohlens negativ beeinflusste (ABERNATHY et al., 2011; ALLEN et al., 2007; BRÜCK et al., 1993; BOSCH et al., 2009; LAING u. LEECH, 1975; MORRIS u. ALLEN, 2002; WOODS et al., 1987). Die Altersgruppen wurden in Anlehnung an diese Studien eingeteilt.
Stuten mit Dickdarmläsionen hatten eher ein lebendes Fohlen nach der Operation als Stuten mit Dünndarmläsionen, wobei es keine Rolle zu spielen schien, ob es sich um eine strangulierende oder nicht-strangulierende Läsion handelt. Allerdings war dieser Effekt nicht statistisch signifikant. Wie in früheren Studien war auch in der vorliegenden die Torsio coli die häufigste Diagnose bei Stuten, die während der Trächtigkeit wegen Kolik operiert werden mussten. Es ist wahrscheinlich, dass die höheren Fohlenraten für Stuten mit Dickdarmläsionen das Ergebnis früherer Überweisung und Behandlung von Stuten mit dieser hochgradig schmerzhaften Kolikform ist. Die Fohlenrate war signifikant höher für Stuten, die innerhalb von fünf Stunden nach Auftreten der klinischen Symptome operiert wurden. Eine kürzere Kolikdauer vor der Operation war in mehreren Studien mit höheren Überlebensraten assoziiert (EMBERTSON et al., 1996, PROUDMAN et al., 2002; VAN DER LINDEN et al., 2003). Die gleichen Mechanismen, die das Überleben der Patienten in diesem Zusammenhang beeinflusst haben, sind vielleicht auch für die höheren Überlebensraten der Frucht verantwortlich. Die große Anzahl von Stuten mit kurzer Kolikdauer vor der Operation in der vorliegenden Studie ist wahrscheinlich auch der Grund für die geringe Anzahl kritisch kranker Patienten in der postoperativen Phase und hat vielleicht so ebenfalls die Fohlenrate gesteigert. Diese Erkenntnisse betonen die Wichtigkeit früher Überweisung und Behandlung von Pferden mit chirurgischer Kolik, da dies nicht nur die Überlebensraten der Patienten, sondern auch die Fohlenraten bei trächtigen Stuten steigert.
Der Trend für einen negativen Einfluss auf die Fohlenrate durch längere Narkosedauer und intraoperative Hypotension steht in Übereinstimmung mit einer anderen Studie (CHENIER u. WHITEHEAD, 2009) sowie im Gegensatz zu einer weiteren Untersuchung (SANTSCHI et al., 1991). Diese Erkenntnisse sprechen für die Wichtigkeit, die Narkosedauer möglichst zu reduzieren und eine intraoperative Hypotension zu vermeiden bzw. möglichst zu korrigieren.
Während intraoperative Hypoxämie und postoperative Endotoxämie in zwei älteren Studien die Fohlenrate beeinflussten (BOENING u. LEENDERTSE, 1993; SANTSCHI et al., 1991), hatten diese Faktoren in einer aktuelleren Studie (CHENIER u. WHITEHEAD, 2009) und in der vorliegenden Untersuchung keinen Einfluss auf das Bestehenbleiben der Trächtigkeit. Trotzdem sollten die klinischen Effekte, die Hypoxämie und Endotoxämie auf die Stute und ihre Trächtigkeit haben können, nicht vernachlässigt werden. Obwohl kein positiver Effekt von Polymixin B auf die Fohlenrate festgestellt werden konnte, erscheint der Einsatz dieses Medikaments bei Endotoxämie und zu erwartender Endotoxämie sinnvoll (BARTON u. PERONI, 2012; DURANDO et al. 1994; KELMER 2009, MORRESEY u. MACKAY, 2006; SOUTHWOOD, 2004). In einer retrospektiven Studie war Polymixin B mit erhöhter Mortalität bei equinen Notfallpatienten assoziiert, was mit einem verstärkten Einsatz bei vergleichsweise schwer erkrankten Patienten mit ohnehin erhöhter Mortalität erklärt wurde (SOUTHWOOD et al., 2009). Ein solcher Einsatz nur bei schwer Erkrankten könnte auch den fehlenden positiven Effekt in der vorliegenden Studie erklären.
Die Fohlenrate in der Saison vor der Operation war mit 76,8 % etwas niedriger als in vergleichbaren Populationen (ABERNATHY et al. 2009; BOSCH et al. 2009; BYRON et al. 2002). Der Abfall der Fohlenrate in der Saison nach der Operation auf 59,2 % ist wahrscheinlich durch abnehmende Fertilität mit zunehmendem Alter und mit Stutenverlusten zu erklären und deckt sich mit den Ergebnissen aus Untersuchungen zu Kaiserschnitten und Schwergeburten bei der Stute (ABERNATHY et al. 2009; BYRON et al. 2002).
Zusammenfassend ist die Prognose für ein lebendes Fohlen, wenn eine Stute während der Trächtigkeit wegen Kolik operiert werden musste, besser wenn die Stute zum Zeitpunkt der Operation 15 Jahre oder jünger und 40 Tage oder länger nach der Bedeckung ist. Stuten, die früher im Krankheitsverlauf operiert werden behalten, mit größerer Wahrscheinlichkeit ihre Trächtigkeit und die prompte Korrektur einer intraoperativen Hypotension erhöht wahrscheinlich die Fohlenrate.
Obwohl die vorliegende Studie Vollblutstuten in Kentucky, USA, untersucht, sollten die Ergebnisse auch für andere Rassen und in anderen Gegenden Anwendung finden können.